Der globale Polizeistaat
Steward deutete die drei Buchstaben als Abkürzung für »Bomb on Bord«. Der eilig informierte Kapitän sah das genauso und kehrte nach Sydney zurück. Überflüssig zu sagen, dass während der anschließenden Durchsuchung des Flugzeuges weder ein Baby noch eine Bombe gefunden wurde.
Angst vernebelt das Gespür für das Vernünftige. Warum sollte jemand, der wirklich eine Bombe an Bord zünden will, dies auf einem Zettel notieren und ins Klo legen? Warum sollte jemand, der eine Bombe zünden und vorher mit einer entsprechenden Ankündigung Furcht und Schrecken verbreiten will, dies mit einer kaum zu erratenden Abkürzung tun? Warum legt er die kryptische Abkürzung still und heimlich aufs Klo?
Möglich wäre es dennoch gewesen, dass an Bord eine Bombe versteckt war. Umsichtig und vernünftig, verteidigte darum die Fluggesellschaft ihren Kapitän, sei das Verhalten gewesen. Sicher ist sicher: Das Böse, das, wie Ignatieff meint, von den Kräften der Ordnung und des Schutzes nicht mehr beherrscht wird, ist irrational, unberechenbar und rechtfertigt darum jede Vorsorge, sei sie verhältnismäßig oder nicht. Der kanadische Wissenschaftler
Ignatieff, der unter dem Eindruck des Terrorismus vom linken Bürgerrechtler zum Prediger der Vorsorge wurde, malt aus, wie es werden könnte, wenn man nicht aufpasst: »Anschläge mit Massenvernichtungswaffen würden Tausende Todesopfer fordern, verwüstete Zonen zurücklassen und die existenzielle Sicherheit zerstören, von der die Demokratie abhängt.« Die Folge wäre eine Verwüstung des liberalen Rechtstaates: »Wir könnten uns in einem Staat mit abgeriegelten Grenzen wiederfinden, in dem ständige Identitätskontrollen und Internierungslager für verdächtige Ausländer und aufsässige Bürger vielleicht zum Alltag gehörten. Wir würden überleben, aber uns selbst und unsere Institutionen nicht mehr wiedererkennen; existieren, aber unsere Identität als freie Völker verlieren.«
Das »hohe Gefühl« der Verwundbarkeit hängt nicht an Wahrscheinlichkeitserwägungen und konkreten Sorgen. Es ist Untergangsstimmung: Es könnte so kommen, wie Ignatieff es beschreibt, die Szenarien sind beliebig ausmalbar, weil sowieso nicht vorstellbar. Ein furchtbarer Terroranschlag könnte, so die Idee, unabhängig von der Zahl der Toten und der Höhe der Schäden, ein Sieg des Bösen sein, das Ende unserer Vorstellungen von Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit. »Die Bedrohung durch den Terrorismus«, sagt Ignatieff, »richtet sich gegen unsere politische Identität als freie Völker.«
Solche Szenarien kennen wir: Die Angst ums Ganze ist die Angst vor dem Feind. Es nicht die Sorge, dass etwas passiert, ein Schaden eintritt oder jemand stirbt, es ist auch nicht die allfällige Furcht vor dem Verbrechen, die den Heimkommenden nachts auf dunkler Straße überkommt. Es ist nicht die Furcht, die vielen aus heißen Wochen des Kalten Krieges erinnerlich ist, die Furcht dass jemand auf den falschen roten Knopf drückt und dann die Welt untergeht. Es ist ein Wissen, dass da eine Macht droht, die in der Lage ist, Unheil zu bringen, ohne dass die Umstände, der Zeitpunkt und die Folgen kalkulierbar sind.
Es ist ein Gefühl - wie im Krieg.
Drittes Kapitel
Der Staat und der Terror
Wie sieht der Feind aus? Worauf muss man achten, wenn man ihn ausspähen, ihn erkennen, ihn unschädlich machen will? Der britische Geheimdienst MI5 hat keine Mühen gescheut, eine Antwort auf diese essenzielle Frage staatlicher Sicherheit zu finden. Für eine Studie befragten die Experten mehrere hundert Menschen, die in Großbritannien Kontakt mit dem Terrorismus hatten - als Mittäter, als Sympathisanten, als Geldsammler. Das Ergebnis: Terroristen sind ganz normale Leute, Familienväter, spießig wirkende Engländer, nicht besonders religiös. Sie trinken Alkohol, aber nicht zu viel, gehen schon mal ins Bordell, sind mehr oder weniger gut angezogen. Nichts, wirklich nichts ist an einem Terroristen, was einem Polizisten oder gar einem Geheimdienstagenten auffallen würde. Das Gefährliche an diesem Feind ist, dass er unerkannt unter uns lebt. Wie soll der Rechtsstaat auf ihn reagieren? Wie soll er sich wehren?
Dass der Umgang mit Feinden überhaupt keine Angelegenheit für Juristen oder Polizeibeamte sei, hat schon, wir hatten weiter oben bereits darauf hingewiesen, der Staatsrechtler Carl Schmitt herausgestellt. Den Feind zu fixieren - und gegebenenfalls zu vernichten - sei eine politische Aufgabe, anvertraut dem
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