Der globale Polizeistaat
Terroristen auszuschließen«. Nun sind wir so klug wie vorher: Auch Rühle sagt nichts anderes, als dass ein Nuklearanschlag »möglich« ist. Wer würde es auch wagen, die Geheimdienst-Anhaltspunkte über drohendes Unheil so ernst zu nehmen, um daraus eine konkrete Gefahr eines Atombombenangriffs zu konstruieren? Schon die Bezeichnung der Lagerfeuergeschichte als »Anhaltspunkt« muss ja jeden kritischen Leser auf die Gegenfrage stoßen: Anhaltspunkt wofür? In Wahrheit handelt es sich um eine Geschichte - nicht mehr.
Doch die Versuchung der Wissenschaftler, das Maß der Bedrohung durch einen nuklearen Angriff zu konkretisieren, ist groß. Die meisten der entsprechenden Studien 12 kommen zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Atombombenangriff durch Terroristen extrem gering, die Wahrscheinlichkeit für einen Anschlag mit einer »schmutzigen Bombe« relativ groß sei. Mit schmutziger Bombe ist dabei ein Sprengkörper mit radioaktivem Material gemeint, dessen konventionelle Detonation das umliegende Gebiet nuklear kontaminiert. Maßgeblich für solche Einschätzungen ist dabei die Äußerung des Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde Mohamed ElBaradei, der 2007 im SPIEGEL äußerte, ein nuklearer Terroranschlag »ist meine größte Sorge«. Er fügte hinzu: »Ich denke jetzt nicht an eine Atomwaffe - dafür reicht das Know-how und das Beschaffungspotenzial
keiner Terrorgruppe. Aber eine kleine sogenannte schmutzige Bombe mit radioaktivem Material, irgendwo gezündet in einer Großstadt, könnte Menschenleben kosten, massiven Terror auslösen mit schweren, wirtschaftlichen Folgen. Manchmal denke ich, es ist ein Wunder, dass das noch nicht passiert ist - und bete, dass es so bleibt.«
Beten - ist das alles, was man tun kann? Natürlich kann ein Innenminister oder ein Verteidigungsminister so nicht sprechen. Aber im Angesicht des lediglich Möglichen ist Beten vielleicht das Rationalste. Und zugleich wäre es ein für jeden Staat ruinöses Eingeständnis, wenn einer seiner Regierenden das zugeben würde. »Das Böse ist aus dem Gefängnis der Abschreckung entwichen«, so dramatisch skizziert der kanadische Historiker, Politologe und Politiker Michael Ignatieff die Situation, vor der die verängstigte Gesellschaft steht, die ihren abschreckenden Beschützer, dem guten alten Leviathan, nicht mehr trauen kann. Und der Befund des einstigen Harvard-Dozenten Ignatieff ist in Deutschland beim Bundesverfassungsgericht angekommen. Wolfgang Hoffmann-Riem, der bis vor Kurzem dort als Richter für das Recht der Gefahrenabwehr zuständig war, schrieb schon kurz nach dem Angriff auf die Twin Towers in New York, an die Stelle der »Illusion von Sicherheit« sei nun das »Bewusstsein großer Verwundbarkeit« getreten.
Es ist das Bewusstsein des Möglichen, das dieses »hohe Gefühl der Unsicherheit« (Hoffmann-Riem) im Volke wachsen lässt. Es fordert, sagt der Exverfassungsrichter, »seinen Tribut und sichert eine Ernte am ehesten für Politiker die Law und Order versprechen«. Das Gefühl, das wir Angst nennen, ist auch mit Verhältnismäßigkeitserwägungen, wie sie im Rechtsstaat üblich sind, nicht zu befrieden. Auch Hoffmann-Riem, der als Verfassungsrechtler täglich mit Fragen der Verhältnismäßigkeit zu tun hat, versucht es: »Ich wage es, einen Vergleich zu ziehen« - zwischen dem Risiko des Terrorismus und dem Risiko des Straßenverkehrs. 4600 Verkehrstote im Jahr 2008 allein in Deutschland, das sei ein Unheil, »das jenes des Terrorismus bei
Weitem übersteigt«. Doch wäre es nicht übertrieben, unverhältnismäßig, wenn wir Angst hätten, jeden Morgen das Haus zu verlassen, um zur Arbeit zu gehen oder zu fahren? Das ist ja nur Statistik, sagen wir uns, was hat das mit mir tun. Und eine Regierung, die auch nur in Erwägung zieht, das Tempo auf den Autobahnen zu beschränken, um ihre Bürger vor Unfällen im Straßenverkehr zu schützen, bekommt die Autofahrerfreiheit um die Ohren gehauen, dazu die Unternehmerfreiheit der Hersteller schneller Autos.
Doch das Gespür für das richtige Maß an Angst, das man sich antun sollte, versagt gelegentlich, wenn es um die Bedrohung durch den Terrorismus geht. »BOB« stand gekritzelt auf einem Spuckbeutel, den ein Unbekannter auf dem Klo einer United-Airlines-Maschine im Juli 2004 hinterlassen hatte. Ein Steward fand das Utensil kurz nach dem Start in Sydney. BOB? Die Kollegen kürzen »Baby on Bord« so ab, oder auch »Buy on Bord«. Der ängstliche
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