Der globale Polizeistaat
der kanadischen Studie der Terrorismus im Schnitt knapp 500 Menschen pro Jahr das Leben.
In Europa entfaltet sich derweilen eine Eigengesetzlichkeit der Angst: Europäische Union und einzelne Staaten haben unter dem Eindruck der amerikanischen Angstpolitik ihre Gesetze und ihre
Institutionen aufgerüstet, um den Krieg gegen den Terrorismus zu führen. Nun gibt es überall auf dem alten Kontinent und in Großbritannien neue Sicherheitsverantwortliche, Abteilungsleiter des globalen Kampfes gegen das Böse, die vor allem um ihre eigene Unentbehrlichkeit streiten müssen. In einem Bericht der europäischen Polizeibehörde Europol für das Europäische Parlament aus dem Jahr 2007 über »Trends des Terrorismus« warnte der Europol-Direktor Max-Peter Ratzel, die Bedrohung der EU durch terroristische Aktivitäten sei ernster als je zuvor. Beleg: 498 terroristische Gewalttaten in Europa im abgelaufenen Jahr 2006. Das klingt in der Tat bedrohlich, der Leser der aufgeregten Zeitungsberichte mochte sich zu diesem Zeitpunkt allenfalls an das gescheiterte Kofferbomben-Attentat in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2006 erinnern.
Wer genauer liest, stößt auf eher Beruhigendes: Nur ein einziges, nämlich das Beinahe-Attentat von Köln, hatte etwas mit dem islamistischen Terrorismus zu tun - alles andere ist das bekannte separatistische Geballer vorwiegend im Baskenland, ebenso in Korsika und in anderen Teilen Frankreichs, mit dem Europa schon seit Jahrzehnten lebt. In den meisten Fällen, so räumt Ratzel denn auch ein, sei es nur um Sachschaden gegangen. Ernster sind die Baskenbomber allein für die Madrider Regierung des Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero, der gerade einen kühlen Deeskalationskurs gegen die Gewalt der Eta versucht und mit hysterischen Zahlenspielen am wenigsten anfangen kann.
Doch Europol muss sich in seiner Unentbehrlichkeit beweisen: »Wir müssen aufpassen, dass diese Dinge nicht weiter eskalieren«, mahnt Direktor Ratzel - nicht ohne gleich noch mehr Kompetenzen zu fordern: »Befugnisse zum Vorgehen gegen Hooligans, Serienmörder und Anbieter von Kinderpornografie.«
Solche Auftritte, mögen sie auch lächerlich sein, treiben doch merkwürdige Blüten. Selbst Provinzpolitiker beteiligten sich nun rhetorisch an der großen, weltumspannenden Sache: »Die Gefahr eines terroristischen Anschlags in Deutschland war noch nie so groß wie in diesen Tagen«, vertraute Niedersachsens
Innenminister Uwe Schünemann (CDU) im April 2007 der Bild am Sonntag an. Und als wenige Wochen später August Hanning, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, unkte, die Sicherheitsbehörden verfügten über Hinweise auf Vorbereitungen für islamistische Selbstmordanschläge auch in Deutschland, wurde es selbst dem bayerischen Hardliner und langjährigen Innenminister Günther Beckstein (CSU) zu viel: »Aus bayerischer Sicht«, gab der Polizei-Politiker kund, seien die Berliner Alarmmeldungen »eher etwas überzogen«.
Dabei konnte Hanning wirklich etwas vorweisen. Ein Video etwa, das der US-Fernsehsender ABC Mitte Juni 2007 ausstrahlte. Darauf sieht man Rekruten des Heiligen Krieges, große Jungs mit zu Sehschlitzen verengtem Gesichtsfeld, sie haben sich versammelt auf einer staubigen Schotterstraße auf irgendeinem Schlachtfeld des Krieges gegen den Terror. Einer, den sie wie ihren Anführer behandeln, überreicht ihnen Waffen. Sie rühmen sich in arabischer Sprache, Selbstmordattentäter zu sein, unter ihnen seien auch »Märtyrer für Deutschland«. Hannings Schlussfolgerung: Sein Land sei nun »voll ins Zielspektrum des islamischen Terrorismus gerückt«. Die Situation sei ähnlich angespannt wie damals, vor dem 11. September 2001. Und Minister Schäuble fügte hinzu: Die Lage sei ernst, es gebe die Botschaft, dass Angriffe auf Deutsche, wie es sie in Afghanistan gegeben hat, auch hierzulande möglich seien. 11
Angst ist die Reaktion auf nicht Wissen, und die Warnungen aus dem Berliner Innenministerium vergrößern die Angst, weil sie eine Ahnung von den Dimensionen des nicht Wissens zulassen. Alles, was wir von rationaler Besorgnis im Staate wissen, spielt sich traditionell in Grenzen ab: Die Grenzen des Verfassungsstaates, jedenfalls die Grenzen der vernünftig agierenden Zivilisation (oder was wir darunter verstehen), äußerstenfalls Immanuel Kant, das Christentum und das Westfälische Staatenmodell sind der Bezugsrahmen unseres Räsonnierens, unserer Prognosen - bisher. Und in diesem Bezugsrahmen standen die
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