Der globale Polizeistaat
über einen der zentralen
Datenverteiler der global agierenden US-Telefonfirmen läuft. Da in der Internetwelt die meisten Daten an irgendeiner Stelle durch die Computer eines US-Unternehmens laufen, kann dieses Programm tatsächlich die erste weltweite Kommunikationskontrolle bedeuten. Die Telefonunternehmen, die bei diesem auch in den USA strafbaren Tun mitmachen, sollen auf Anordnung des Präsidenten straffrei gestellt werden. Das größte Lauschprogramm der Geschichte ist auf dem Weg - und mitten in einer der entscheidenden Besprechungen musste sich Ashcroft wegen einer Gallenkolik verabschieden.
Nervosität im Weißen Haus: Wenn Ashcroft nicht unterschreibt, gerät das ganze geheime Programm in Gefahr - eine Sicherheitslücke unermesslichen Ausmaßes täte sich auf. Schon seit Tagen hat sich der Justizminister geziert, seine Unterschrift unter die Anordnung zu setzen - besonders sein Stellvertreter, James Comey, hat ihm abgeraten, der Mann ist kritisch, redet von globalem Polizeistaat, von Verfassungsbruch, dieser Comey, so viel ist klar, ist kein Bushy.
Und jetzt steht ebendieser Comey am Krankenbett seines Chefs Ashcroft. »Wie geht es Ihnen?« Comey ist außer Atem, weil er über seinen Vertrauten, den FBI-Chef Robert Mueller, gehört hat, dass Alberto Gonzales ebenfalls unterwegs ist ans Krankenlager des Justizchefs, mit einer Ausfertigung der NSA-Anordnung, in der nur noch die Unterschriftenzeile für Ashcroft offen ist. Gonzales ist so sehr »his President’s man«, dass er alsbald Ashcrofts Nachfolger werden wird. Doch an diesem Abend hat er kein Glück. Als er die Tür zu Ashcrofts Krankenzimmer aufschiebt, ein braunes Couvert unter dem Arm, steht da schon Comey - der den Kranken auf den Besuch vorbereiten konnte. Als Gonzales erwartungsgemäß um die Unterschrift bittet, richtet sich Ashcroft kurz aus seinen Kissen auf und hält dem Boten aus dem Weißen Haus schwach entgegen: »Mir wurde erklärt, dass es leichtfertig wäre, das zu unterschreiben.« Widerspruch zwecklos, denn Ashcroft fügt hinzu: »Aber das macht nichts, denn zurzeit bin ich gar nicht der Justizminister.« Der gesetzmäßig
vorgesehene Vertreter des wegen Krankheit amtsunfähigen Justizministers ist dessen Stellvertreter - sein Vize James Comey.
Ashcrofts Kopf fällt ins Kissen zurück. Er wirkt, als müsse er gleich sterben. Der Trickser Gonzales merkt, dass er diesmal ausgetrickst wurde: »Na dann, alles Gute«, sagt er und verlässt wütend das Zimmer. Er sieht nicht mehr, wie Janet Ashcroft ihm die Zunge herausstreckt.
Eine Szene aus dem Innenleben des amerikanischen Rechtsstaates. Die westliche Welt verdankt sie dem New York Times -Reporter Eric Lichtblau, der für seine Enthüllungen über das kriminelle NSA-Programm den Pulitzer-Preis bekommen hat, den angesehensten Publizistikpreis der Welt. Niemand hat Bush’s Law (so der Titel seines Buches) so genau studiert wie er - und so viel Hass auf sich gezogen. Monatelang intervenierten die Bushies um Gonzales bei Lichtblaus Chefs, um die Veröffentlichung der unbestritten wahren Enthüllungen zu verhindern: Wollten sie wirklich schuld sein, mussten sich die Redakteure fragen lassen, wenn das NSA-Programm zusammenbreche und Osama Bin Laden seine nächste Attacke auf die Vereinigten Staaten ungehindert ausüben könne? Solche Veröffentlichungen, dröhnte der oberste Geheimdienstdirektor Mike McConnell, »bedeuten, dass einige Amerikaner sterben werden«.
Nicht viel besser erging es dem Ashcroft-Vize Comey, der sich standhaft weigerte, die Anordnung seines Präsidenten gegenzuzeichnen. Vergeblich luden sie ihn im Weißen Haus vor, quälten ihn mit den wüstesten Drohungen. Da Bush entschied, dass das NSA-Programm dann eben ohne Comeys Unterschrift weiterlaufen werde, formulierte der sein Rücktrittsschreiben. Als das im Justizministerium bekannt wurde, drohten Comeys Kollegen ebenfalls mit Rücktritt. Schließlich schloss sich auch Ashcroft der Protestbewegung gegen Bushs Willkür an. Ein Massenrücktritt drohte. Nicht nur das NSA-Programm, auch der Präsident wäre in Schwierigkeiten gekommen. Am 11. März 2004, gleich zu Dienstbeginn wollten Comey und seine Freunde dem Präsidenten ihren Rücktritt bekannt geben. Doch wenige Stunden
zuvor, kurz vor acht Uhr morgens europäischer Zeit, explodierten in Madrid mehrere Vorortzüge. Das Bombenattentat der Verschwörer lokaler Zellen des Al Kaida-Netzwerkes kostete 191 Menschenleben. Und bis zum Dienstbeginn im Weißen Haus war es
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