Der globale Polizeistaat
- die Vereinigten Staaten nicht angegriffen hat, war der Einmarsch amerikanischer Truppen aus der Sicht vieler kompetenter Kritiker ein völkerrechtswidriger Überfall. Nicht umsonst unternahmen die US-Geheimdienste so umfassende Bemühungen, um nachzuweisen, dass der Bösewicht aus Bagdad über Massenvernichtungswaffen verfügte: Mochte schon eine solche Entdeckung, falls sie gestimmt hätte, kein brauchbares Indiz für einen bevorstehenden Angriff des Irak sein, hätte sie doch immerhin unterstrichen, dass der Irak zur von Bush so deklarierten »Achse des Bösen« gehörte. Die »Achse des Bösen«: ein klassischer Schmitt.
Der Umgang Amerikas mit dem Irak zeigt aber auch das Dilemma: Natürlich musste die Welt - nach den damals verfügbaren Informationen - Angst vor Saddam haben. Auch im Auswärtigen Amt der damaligen Schröder-Regierung gab es genügend Stimmen, die Schröders Ablehnung einer deutschen Beteiligung für problematisch hielten: Musste man nicht mit Bomben und Raketen gegen einen Mann vorgehen, der nach der Einschätzung gestandener Diplomaten 35 nicht weniger angsterregend war als Adolf Hitler 1935? Der klassische Feind: Sollte
man da wirklich warten, bis er im Besitz von ABC-Waffen ist und die Welt in einen Krieg zieht?
Tatsächlich wäre es unfair, diese politische Frage von damals mit dem Wissen von heute zu beantworten. Heute wissen wir, dass Saddam Hussein selber Angst hatte vor seinen Feinden und darum mit Waffen prahlte, die er gar nicht hatte. Doch das ist ein Merkmal politischer Entscheidungen: dass sie manchmal zu früh kommen und manchmal falsch sind. Das Dilemma mit Saddam ist dasselbe wie mit dem Terrorismus: Das, wovor wir Angst haben, meinen wir bekämpfen zu müssen, bevor es sich überprüfbar manifestiert. Das Recht - egal ob Völkerrecht oder Strafrecht - verlangt aber eine Manifestation.
Carl Schmitt weist den scheinbaren Ausweg, der in der Entdeckung der Feindschaft liegt. Feindschaft entsteht nicht aufgrund überprüfbarer Ereignisse, sondern kraft politischer Dezision, hinter der sich nichts anderes verbirgt als die populistische Antwort der Politik auf die Angst. Doch wenn wir Rechtsfolgen an die Angst vor dem Feind knüpfen, begeben wir uns nicht nur in die Hand von Diktatoren, wir begeben uns, schlimmer noch, in einen immerwährenden Krieg. Denn niemand könnte mehr sagen, durch welches Ereignis er beginnt oder endet. Niemand könnte mehr sagen, welche Grenzen die Staatsgewalt hat - nach innen oder nach außen. Das wäre nicht nur das Ende der staatlichen Friedensordnung, es wäre das Ende des Staates: Wir wären wieder zurück im 17. Jahrhundert.
Zweiter Teil
DAS RECHT
Wie kann der Staat sich gegen den Terrorismus wehren?
Erstes Kapitel
Bush’s law
James Comey hat das Blaulicht aufs Dach seiner Limousine setzen lassen, damit es schneller geht. Der Wagen drängt sich durch den abendlichen Verkehr der Hauptstadt Washington. Comey muss es schaffen. Er muss schneller sein als die beiden Männer aus dem Weißen Haus, die ebenfalls auf dem Weg zum George-Washington-Hospital sind. Es ist ein Wettrennen um die Sicherheit Amerikas - oder was die Bushies, die Kerls aus Präsident George W. Bushs Beraterstab, dafür halten. Endlich: das Krankenhaus. Comey springt aus dem Wagen, rennt durchs Portal, Fahrstuhl dauert zu lang, sprintet die Treppen rauf, die Gänge entlang, stürzt ins Krankenzimmer: »Wie geht Ihnen, Chef?«
Der Chef liegt im abgedunkelten Zimmer tief in seinen Kissen: John Ashcroft, amerikanischer Justizminister, antwortet mit leiser Stimme. »Nicht gut.« Ashcrofts Frau Janet steht am Bett und schaut besorgt auf das leidende Gesicht ihres Mannes.
In diesen Märztagen des Jahres 2004 muss sich Bushs mächtiger Oberbefehlshaber im inländischen Krieg gegen den Terror an der Gallenblase operieren lassen. Die Gallenblase, ausgerechnet jetzt: Im Weißen Haus brauchen sie ihn dringend, Ashcroft muss die Anordnung des Präsidenten gegenzeichnen, mit der das Top-Secret-Programm des Geheimdienstes NSA auf den Weg gebracht werden soll. Das Programm ist auch im Justizministerium heftig umstritten: Es erlaubt der weltweit agierenden Datenkrake, sämtliche Auslandstelefongespräche und E-mails mitzuschneiden und abzuhören, ohne gesetzliche Grundlage, ohne richterliche Anordnung, ohne konkreten Verdacht. In den gigantischen NSA-Computern wird jetzt schon die gesamte Kommunikation gespeichert, die - aus den USA oder von einem beliebigen anderen Punkt der Welt -
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