Der globale Polizeistaat
zu so wahnhaften Symptomen wie dem Plan der Briten, alle drei Milliarden E-mails, die auf der Insel pro Tag verschickt werden, computergesteuert zu überwachen, um so »Freundschaftsbäume« von Terroristen aufzuspüren. 2 Auch in Deutschland, so die Ansicht einiger Staatsrechtler wie die des Kölner Professors Otto Depenheuer, dürfe die »Selbstbehauptung« des Staates nicht länger am Rechtsstaat scheitern. Wenn die »Gemeinschaft in Gefahr gerät«, müssten »Bürgeropfer« gebracht werden: »Feind und Opfer sind Grundkategorien des Politischen. Wir konnten uns unter dem amerikanischen Schutzschirm ziemlich lang leisten, sie nicht zu thematisieren, jetzt sind sie uns wieder sehr nahe gekommen.« Der Rechtsprofessor, dessen Werke zu lesen Innenminister Schäuble ausdrücklich empfiehlt, hält auch ein deutsches Guantanamo für eine Option: »Guantanamo steht als Chiffre für die staatliche Sicherungsverwahrung gefährlicher Terroristen. Das ist in der Sache nichts Neues. Und das ist auch richtig so, weil der Staat gefährliche Menschen nicht einfach frei herumlaufen lassen darf. Das könnte man im Prinzip auch bei Terroristen so halten.«
Depenheuer ist nicht irgendwer, sondern Mitarbeiter des angesehensten Grundgesetzkommentars, des »Maunz-Dürig«. Nicht weniger angesehene Verfassungsrechtler sind es aber mittlerweile auch, die laut vor der amerikanischen Krankheit warnen: »Wie soll diese Chimäre aus Carl Schmitt und demokratischem Verfassungsstaat eigentlich lebensfähig sein? Ein Staat, der sich derart mit Gewalt- und Drohpotenzial vollpumpt, hat als gewaltenteilender, distanzierender und freiheitschützender Verfassungsstaat eigentlich abgedankt«, schimpft Michael Stolleis, Staatsrechtsprofessor
aus Frankfurt, der ein rechtsgeschichtliches Werk darüber verfasst hat, wie Staatsrechtler die Weimarer Republik zugrunde gerichtet und der NS-Diktatur zum Aufstieg verholfen haben. 3 »Intellektuelle Lust am antizipierten Ausnahmezustand«, so beklagt der Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio, treibe deutsche Staatsrechtler - wieder einmal - zum gefährlichen »Spiel mit dem Grenzfall«. Die »exorbitante Zunahme heimlicher Ermittlungen« in Deutschland rügt der Exverfassungsrichter und Strafrechtsprofessor Winfried Hassemer: »Freiheitlichkeit hat derzeit keine Konjunktur.«
Bush’s law lebt. Es ist das Gesetz der Angstmacher. Mag auch der Nachfolger im Weißen Haus die schlimmsten Anordnungen gecancelt haben - wir wissen nun, dass ein Rechtsstaat, selbst der amerikanische, dem »Ehrgeiz« (Verfassungsvater James Madison) entschlossener Machthaber keine wirksamen Grenzen setzen kann. Deshalb ist das, was seit dem 11. September 2001 in Amerika geschehen ist, ein Lehrstück, das man sich genau ansehen muss.
»The rules of engagement have changed«
Das Mögliche unmöglich machen - Verbotenes Spucken auf
Bürgersteige - Draußen auf dem Schlachtfeld - Wartime Power -
Kreditkarte 67262 - So baut man den globalen Polizeistaat
»Don’t ever let this happen again.« Mit diesem Satz begann in Amerika das Zeitalter der Prävention. Der Satz aus dem Munde des Präsidenten am Tag nach dem 11. September 2001 war wie eine Peitsche. »Don’t ever let this happen again«, schleuderte der mächtigste Mann der Welt seinem Justizminister John Ashcroft entgegen, als die Trümmer des Pentagon wenige Kilometer entfernt noch rauchten. »Don’t ever let this happen again« - das Gebell der ultimativen, aber auch angsterfüllten Forderung George W. Bushs versetzte den zigtausendköpfigen Sicherheitsapparat
der Vereinigten Staaten in Panik: Jeder Einzelne, so hatte Ashcroft weitergegeben, werde verantwortlich gemacht, wenn wirklich Al Kaidas Terroristen in Amerika abermals zuschlagen würden, jeder Einzelne sei verantwortlich, dass nichts, aber auch gar nichts unterlassen werde, einen zweiten Terrorschlag zu verhindern, der - so sah es damals aus - den Untergang Amerikas bedeuten könnte. Was in den folgenden Jahren auf amerikanischem Boden geschah, war nichts weiter als der Versuch, das Mögliche unmöglich zu machen.
»Don’t ever let this happen again«: Für Ashcroft, als Attorney General zugleich oberster Strafverfolger der Nation, eine völlig neue Aufgabe. Die unheimliche Bedrohung konnte nicht mehr mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden. Statt Reaktion war nun Aktion angesagt: »Strafverfolgung ist nicht mehr unsere Priorität«, verkündete er den Sicherheitskräften des amerikanischen
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