Der globale Polizeistaat
Gonzales und seinen Helfern gelungen, die Rechtsstaats-Rebellen auf die gemeinsame Stunde der Not zu verpflichten: Der Krieg gegen den Terror musste weitergehen, an Fahnenflucht war nicht mehr zu denken. Das NSA-Programm lief - etwas modifiziert - weiter, es überlebte die Enthüllungen Lichtblaus, es überlebte sogar den Wechsel im Weißen Haus.
Ist es vorbei? Ist mit dem Wechsel im Weißen Haus die dunkle Epoche der Rechtsstaatsklamotten in den USA ausgestanden? Was berechtigt uns anzunehmen, Bushs weltweit gelobter Nachfolger Barack Obama werde wie sein Vorgänger den Rechtsstaat zum Polizeistaat umbauen, seine Macht missbrauchen und die Verfassung brechen, seine Gefangenen foltern und in Guantanamo verschwinden lassen? Die Frage ist falsch gestellt. Sie muss lauten: Was berechtigt uns anzunehmen, dass er es anders macht als Bush? Schon wenige Wochen nach Obamas Amtsübernahme verkündet die neue Generalstaatsanwältin Elena Kagan, dass sich an den Methoden der Vorgänger wenig ändern werde: Verdächtige Al Kaida-Finanziers in aller Welt würden auch künftig als Feinde dem »Recht des Schlachtfeldes« unterworfen und wie Krieger auf unbestimmte Zeit in Gefangenenlager gesperrt. Auch die Übung der CIA, ihre Gefangenen zum Foltern ins Ausland zu verschleppen, werde fortgesetzt.
Nur das Vertrauen auf den netten Mister Obama soll nun den Menschen ihre Freiheit, ihre Privatsphäre, ihren Stolz auf Amerika wiedergeben? Dass das zu wenig ist, haben schon die Gründerväter der amerikanischen Verfassung erkannt. Weil niemandem im Staate, auch nicht den gewählten Vertretern, zu trauen sei, so befanden die Autoren der Constitution von 1788, müsse der neue Staat ein kompliziertes System der Checks and Balances haben, die Gewaltenteilung, die bis heute in der Rechtsprechung des US Supreme Court der wichtigste Verfassungsgrundsatz ist.
Alle Amtsinhaber im Staate müssten »aufgrund ihrer wechselseitigen Beziehungen selbst das Mittel bilden, um sich gegenseitig an dem ihnen zukommenden Platz zu halten«, schrieb der Verfassungsvater James Madison in den Federalist Papers 1 , auf dass »Ehrgeiz dem Ehrgeiz entgegenwirkt«. Die amerikanische Verfassung war konstruiert als Rechtsstaatsmaschine: Das Getriebe wirkt so zuverlässig, dass es auf die Zuverlässigkeit einzelner Menschen gar nicht mehr ankommt. Szenen wie jene am Krankenbett John Ashcrofts schienen fürderhin ausgeschlossen.
Wie einfach es möglich ist, diese Maschine zu überlisten, muss alle, die auf eine neue Zeit in Amerika hoffen, nachdenklich machen. Und die Nachdenklichkeit verstärkt sich bei der Betrachtung der Demokratie vor der eigenen Haustür. Deutschland ist - nicht nur durch das globale NSA-Programm - in Krieg und Frieden und im Kampf gegen den Terror mit dem Rechtsstaat jenseits des Atlantik verknüpft. Der scheinbar so gesicherte demokratische und soziale Rechtsstaat auf deutschem Boden ist untrennbar mit amerikanischen Idealen verbunden. Die Vereinigten Staaten haben nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden und Recht nach Deutschland gebracht. Sie haben den Deutschen nach dem Niedergang des Nazi-Reichs die Grundlagen der Demokratie erklärt, der Föderalismus und die anderen Regeln der Gewaltenteilung sind nach den Vorgaben der US-Besatzer entstanden. In den Nürnberger Prozessen haben amerikanische Juristen den Deutschen und dem Rest der Welt vorgeführt, dass Feinde nichts anderes sind als besonders schlimme Verbrecher.
Wenn es da drüben, bei den Siegern, möglich ist, dass dies alles plötzlich nur noch die Hälfte wert ist, wenn in Amerika mutmaßliche Verbrecher nun als Feinde behandelt werden, gegen die der Staat den außergesetzlichen Notstand verhängen darf - warum sind wir dann so sicher, dass nicht in Deutschland Ähnliches geschehen kann - vielleicht schon geschehen ist? Schützt unser Grundgesetz uns vor dem Polizeistaat wie er im Amerika der Ära Bush entstand? Oder wenigstens das Bundesverfassungsgericht? Ist der deutsche Rechtsstaat besser als der amerikanische - oder
sind wir auch in Deutschland darauf angewiesen, dass Wolfgang Schäuble ein ehrenwerter Mann ist?
Bush’s law hat längst auch Europa erfasst. Die »universelle Bedrohung der internationalen Ordnung« durch den Terrorismus macht nach dem Urteil des BND-Chefs Ernst Uhrlau »die internationale Zusammenarbeit aller Behörden unumgänglich«. Die amerikanische Krankheit der Terrorangst wirkt unmittelbar ansteckend auf die Rechtsordnungen befreundeter Länder. Das führt
Weitere Kostenlose Bücher