Der globale Polizeistaat
Rechtssystems. Wie mühsam es war, das Strafrecht gegen den Terrorismus zu wenden, merkten die Ermittler bei dem Versuch, das bewährte »Spitting on the Sidewalk«-Programm anzuwenden. Mit dieser Sicherheitsphilosophie haben sie in der Neuen Welt bereits während der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts Mobster verfolgt: Jeden möglichen Anlass, selbst das verbotene Spucken auf Bürgersteige, sollten die Fahnder nutzen, um möglichst viel Gesindel in Haft zu nehmen - die Gesuchten würden dann schon drunter sein. Nun probierten sie dieses Instrument im Kampf gegen den Terror aus: »Wenn Sie Ihr Visum nur einen Tag überziehen, werden wir Sie einsperren. Wenn Sie gegen irgendein lokales Gesetz verstoßen, werden wir Sie so lange wie möglich einsperren«, drohte Ashcroft den Bösewichten, besonders den ausländischen. Tatsächlich wurden 1200 Ausländer nach dem 11. September ohne ernsthaften Verdacht festgenommen und manchmal monatelang inhaftiert. Gebracht hat es - außer Ärger - nichts.
Nicht nur der Freiheitsentzug, auch das Eindringen in die Intimsphäre der Menschen war in den Vereinigten Staaten - wie in jedem ordentlichen Rechtsstaat - an den konkreten Verdacht
geknüpft, dass eine schwere Straftat begangen wurde. Schon seit 1978 gab es Fisa (Foreign Intelligence Surveillance Act), der das Belauschen amerikanischer Bürger oder die Kontrolle ihrer digitalen Kommunikation mit dem Ausland von »individualized suspicion« abhängig machte -über jeden Einzelfall hatte ein nicht öffentlicher Gerichtshof zu entscheiden. »Wir sind genau eine Bombe davon entfernt, dieses widerliche Gericht endlich loszuwerden«, tönte der in Sicherheitsfragen besonders resolute Bush-Vize Dick Cheney.
Im Justizministerium dachte derweilen ein furchtbarer Jurist darüber nach, wie er Fisa und mit ihm den Rest des Rechtsstaates auch ohne Bombe aushebeln konnte. John Yoo, ein Staatsrechtsprofessor in Berkeley, errang mit seinen Gutachten für den amerikanischen Präsidenten den zweifelhaften Ruhm, die US-Verfassung nach über 200 Jahren geknackt zu haben. Seine Rechtsentdeckung: »Wir sind im Krieg.« Der Krieg gegen den Terror erlangte unmittelbare innenpolitische Bedeutung, weil Yoo die Wartime Power des Präsidenten als Geheimwaffe gegen Terrorverdächtige jeden Kalibers einsetzte. »Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Armee und der Flotte«, heißt es in Artikel II der Constitution . Yoo stellte fest: »Wenn die Armee draußen auf dem Schlachtfeld angreift und den Feind tötet, braucht man ja auch keinen richterlichen Befehl«, da könne der Oberbefehlshaber ohne die üblichen rechtlichen Begrenzungen walten. Und nichts anderes könne gelten, wenn der Feind den Krieg ins Land, auf amerikanischen Boden trage. Im innenpolitischen Kampf gegen diesen Feind, so der hochrangige Jurist, habe auch der Kongress nicht mitzureden. Denn: »Der Kongress kann die Macht des Präsidenten nicht während des Krieges einschränken.« Wo das steht? Na, das folgt aus der ruhmreichen Geschichte der Vereinigten Staaten. Hätte etwa, fragte Yoo, der Kongress dem Präsidenten 1944 die Invasion in der Normandie verbieten sollen?
Folglich, so gutachtete der Jurist, sei es auch von der Wartime Power des Präsidenten gedeckt, das Abhören und Aufzeichnen
von enemy conversations am Kongress, an Fisa und am Gericht vorbei anzuordnen - und noch vieles mehr. Die Rechtsentdeckung des amerikanischen Professors machte weltweit ihre Runde - ein besorgter Blick ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland führte zu Artikel 65a: »Der Bundesminister für Verteidigung hat die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte.« Könnte also, so die rechtliche Gegenprobe im Berliner Verteidigungsministerium, eine derartige Rechtsansicht auch in Deutschland eine Chance haben? Wir werden darauf zurückkommen. 4
Ja aber, so das Gegenargument in den Sitzungen mit Ashcroft, was ist mit den Grundrechten der Bürger? Kein Problem, sagte Yoo, der 4. Verfassungszusatz, der Privatsphäre und damit auch das Kommunikationsgeheimnis garantiert, sei auf enemy conversations nicht anwendbar.
Ashcroft war nicht der skrupellose Rechtsbrecher, der ohne gesetzliche Genehmigung einen globalen Polizeistaat installiert hätte. Noch als Senator hatte er 1998 jeder staatlichen Schnüffelei eine Absage erteilt: »Die Gründerväter der amerikanischen Nation haben keinesfalls der Auffassung zugeneigt, dass die Regierung einen Schlüssel zu jedem Haus, jedem Tagebuch,
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