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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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allgemeiner Ansicht kein ausreichender Grund für konkrete polizeiliche Eingriffe, sondern kann Anlass für
generelle Gesetzes- oder Verordnungsvorschriften sein - beispielsweise für das Verbot, Hunde ohne Maulkorb in den Parks der Stadt herumlaufen zu lassen, weil statistisch die Zahl der beißenden Hunde unter der Zahl der in Parks herumlaufenden Hunde zu groß ist.
    Gemessen an diesen Überlegungen wirken die Anforderungen an polizeiliches Eingreifen in »Gefährder«-Normen vertrauenerweckend: Tatsächlich wird ja allenthalben für die Prognose des künftigen Verhaltens einer Person das Vorliegen von rechtfertigenden »Tatsachen« gefordert. Auf Schwierigkeiten bei der Anwendung der Vorschriften stoßen wir gleichwohl, wenn wir - siehe das Moscheen-Beispiel oben - darüber entscheiden wollen, welche Tatsachen - oder genauer: welche Tatsachenaussagen über eine Person geeignet sind, die Prognose zu rechtfertigen. Dies ist keine Spitzfindigkeit, sondern die Schlüsselfrage der rechtlichen Bestimmtheit dieser Vorschriften. Denn zu jedem Zeitpunkt steht jeder Anwender der Norm vor einer prinzipiell unendlichen Sammlung von Tatsachen. Nimmt er nur die Tatsachen, über die er zum Zeitpunkt seiner Entscheidung Informationen hat, ist selbst dies ein gewaltiges Sammelsurium. Dabei ist noch nicht einmal die Frage beantwortet, ob es tatsächlich maßgeblich sein soll, nur auf die Tatsacheninformationen abzustellen, über die der konkrete Entscheider verfügt, verfügen müsste, verfügen kann …
    Ohne eine nähere Charakterisierung der relevanten Tatsachen beziehungsweise des relevanten Tatsachenwissens lässt eine entsprechend formulierte Ermächtigungsnorm praktisch jede beliebige Prognose und damit jede beliebige Eingriffsentscheidung zu, hat also keinen rechtsstaatlichen Wert.
    Nun ist die Struktur des Prognoseschlusses bei herkömmlichen Gefahrennormen hinreichend aufgeklärt 12 , um daraus Lehren für das Vorgehen bei den Normen des erweiterten Sicherheitsbegriffs ziehen zu können. Auch der Aussage über eine konkrete Gefahr stellt sich ja das Problem der korrekt gebildeten Tatsachenbasis. Die Polizeirechtslehrbücher sind voll von Beispielen
für »Schein«-Gefahren, Situationen, in denen Schlüsse auf der Basis unzureichend ausgewählter Tatsachengrundlagen getroffen wurden. 13 Etwa: Maskierter Mann mit Spielzeugpistole nähert sich am Sonntag einem Schmuckgeschäft. Ein Polizeibeamter, der hier eine räuberische Geiselnahme prognostiziert, handelt pflichtwidrig, er hätte erkennen können, dass bei Betrachtung aller relevanten Umstände das prognostizierte Ereignis nicht droht (aber möglicherweise ein anderes). Unter Zugrundelegung der Tatsachenaussage »Maskierter nähert sich Schmuckgeschäft mit Pistole« wäre so ein Schluss zwar korrekt möglich. Die Ergänzung um die Information »Pistole ist nicht funktionsfähig« sähe die Prognose vielleicht schon anders aus. Ergänzt man um »heute ist Sonntag«, fällt sie in sich zusammen: Sonntags haben Schmuckgeschäfte geschlossen, niemand ist drin, der sich als Geisel eignen würde. Das Spiel lässt sich beliebig erweitern: Nun fügen wir die Information hinzu: »Aber heute ist ein vorweihnachtlich verkaufsoffener Sonntag« - und schon sieht die Prognose wieder vollkommen anders aus.
    Der naheliegende Verbesserungsvorschlag: Wer eine korrekte Gefahrenprognose anstellen will, muss alle Informationen zugrunde legen. Gegenargument: Dies ist nicht hilfreich, weil es unendlich viele sind. Kompromissvorschlag: Alle relevanten Informationen. Gegenfrage: Welche Informationen sind relevant?
    Hier muss die Diskussion abbrechen, weil Theorie und Praxis auseinanderlaufen. Es lässt sich wissenschaftlich 14 sehr viel zur Relevanz von Prognoseinformationen sagen, für die Praxis in der Hamburger Islamistenszene genügt es, mit dem Verweis auf Erfahrungssätze im Umgang mit der Szene zu verweisen. Zur Abwehr einer konkreten Gefahr, so eine befriedigende Präzisierung, genügt es, wenn sich der entscheidende Amtswalter einen gewissenhaften Überblick über die konkrete Situation vor Ort verschafft hat und für sein Urteil keine für ihn erkennbar relevanten Umstände übergangen hat. Weil dies eine sehr subjektive Grundlage ist, arbeitet die Mehrheit der führenden Polizeirechtsdogmatiker mit einem »subjektiven Gefahrbegriff«.

    Im oben genannten Beispiel lässt sich etwa sehr gut diskutieren, ob der Beamte erkennen konnte (subjektiv) und musste, dass es sich um eine

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