Der globale Polizeistaat
Umständen, unter denen ich einen Menschen antreffe, »Anhaltspunkte« für das, was er tun »würde«? Drittens: Wie soll ich überhaupt eine Aussage treffen über etwas, das jemand nicht tun wird, sondern tun würde?
In der »Arbeitsgemeinschaft Kriminalpolizei« der Chefs aller Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes haben
sie lange diskutiert, wie solche Probleme beim Erkennen von »Gefährdern« vermieden werden können. Sie haben es auch mit einer Definition versucht: »Ein ›Gefährder‹ ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung … begehen wird.«
Mit dieser Formulierung wird mittlerweile so selbstverständlich in Deutschland gearbeitet, dass sie fast unbemerkt Aufnahme in diverse Gesetzestexte gefunden hat. Zum Beispiel Paragraf 9 Absatz 1 des Hamburger Polizei-Datenverarbeitungsgesetzes: Danach dürfen Personen einer »planmäßig angelegten Beobachtung« unterzogen werden, wenn »Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden«. Video- und Lauschangriffe sind zulässig, wenn - so Paragraf 10 - »Tatsachen die dringende Annahme rechtfertigen, dass die Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird«. Und die neue Regelungstechnik ist nicht auf Hamburg begrenzt. Auch das neue BKA-Gesetz bezeichnet mit denselben Worten die Voraussetzungen für die Suche nach »Gefährdern«. Etwas konkreter wird das niedersächsische Polizeigesetz, das sieht vor, dass eine Wohnung verwanzt werden darf, »zur Abwehr einer Gefahr, dass eine Person eine besonders schwerwiegende Straftat begehen wird«.
Zur Analyse dieser Tatbestände sind nun ein wenig Aussagenlogik und Wahrscheinlichkeitsrechnung erforderlich. 11 Der verehrte Leser, den nur die Ergebnisse dieser Untersuchung interessieren, kann die folgenden Ausführungen als zu detailliert ansehen und überspringen. Da mit Gegenargumenten zu rechnen ist, scheinen sie gleichwohl unverzichtbar.
Jede der hier aufgeführten Eingriffsnormen erfordert eine Prognose über ein zukünftiges Ereignis, im konkreten Fall ein zukünftiges Verhalten einer Person. Ein Ereignis wird prognostiziert, indem eine Aussage über das Auftreten des Ereignisses mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit getroffen wird. Wahrscheinlichkeit wird mit einer Zahl im Bereich von 0 bis 1 ausgedrückt.
So ist eine Aussage über eine Wahrscheinlichkeit von mehr als ½ die Behauptung, das fragliche Ereignis sei »überwiegend« wahrscheinlich, Wahrscheinlichkeit 1 gilt als Aussage über das sichere Auftreten, Wahrscheinlichkeit 0 als Aussage über das sichere Nichtauftreten des Ereignisses. Diese Präzisierung soll nicht den Anschein erwecken, als sei es möglich, terroristische Gefahren quasi auszurechnen. Sie ist aber nützlich zur Strukturierung dessen, worüber wir eigentlich diskutieren wollen. Wir können zum Beispiel nun verdeutlichen, was mit der Aussage gemeint sein mag, ein Ereignis sei »möglich«: Dies bedeutet, die Wahrscheinlichkeit, dass das fragliche Ereignis eintritt, sei jedenfalls nicht 0.
Eine Prognose ist stets nur aufgrund einer Aussage über gegenwärtige Umstände korrekt. Es handelt sich um eine relative Aussage: Relativ zu einer bestimmten Prognosegrundlage ist die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses mit einem bestimmten Wert prognostizierbar. Man kann auch sagen: Eine Prognose ist der Schluss von einer Aussage über Tatsachen auf eine Aussage über künftig auftretende Tatsachen. Dabei ist dies kein deduktiver Schluss, sondern ein induktiver Schluss, dessen Wahrheitswert in Wahrscheinlichkeit gemessen wird. Es handelt sich, dies zur weiteren Klarstellung, bei solchen Wahrscheinlichkeitsannahmen nicht um Aussagen über statistische Wahrscheinlichkeit, sondern um Sätze über induktive Wahrscheinlichkeit. Der Unterschied zwischen beiden Wahrscheinlichkeitsbegriffen: Statistische Wahrscheinlichkeit misst die Häufigkeit des Auftretens einer speziellen Ereignisklasse relativ zu einer generellen Ereignisklasse. Induktive Wahrscheinlichkeit misst die Erwartung an das Auftreten eines individuellen Ereignisses relativ zu einer Basis raumzeitlich bestimmter Ereignisse. Polizeirechtlich liegt die induktive Wahrscheinlichkeitsaussage dem »konkreten« Gefahrenbegriff, die statistische Wahrscheinlichkeitsaussage dem Begriff der »abstrakten Gefahr« zugrunde. Eine »abstrakte Gefahr« ist nach
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