Der globale Polizeistaat
alles zur richtigen Zeit erfahren.«
Zu solchen kafkaesken Situationen, antwortet der polizeiliche Praktiker kühl, werde es schon deshalb nicht kommen, weil kein »Gefährder« erfährt, dass er ein »Gefährder« ist. Denn alles, was die Polizei gegen solche Personen unternimmt, unternimmt sie im Geheimen. Sammeln, beobachten, verfolgen: »Gefährder« ist eine Kategorie, die das Bundeskriminalamt von den Geheimdiensten übernommen hat. Die Agenten arbeiten schon länger ungestört mit dem gefährlichen Begriff, sie sind es ohnehin nicht gewohnt, von ihren Opfern zur Rede gestellt zu werden. Und
wenn der hamburgische Verfassungsschutz verbreitet, unter den Islamisten der Hansestadt hätten 2006 elf »Gefährder« gelebt, dann ist es einerseits beruhigend zu wissen, dass die Geheimen alles so gut im Blick haben - andererseits beunruhigend, dass niemand je gefragt hat: »Woher wissen Sie das?« Immerhin gab es im Jahr 2006 keine einzige islamistische Gewalttat in Hamburg.
Beim hamburgischen Landesamt für Verfassungsschutz kennen sie sich besonders gut mit der Klientel der Imam-Ali-Moschee aus, es liegt nahe, dass sie dort besonders intensiv nach »Gefährdern« suchen. Wie geht das? Sollte man jeden regelmäßigen Besucher der Moschee als »Gefährder« betrachten? Manfred Murck, stellvertretender Chef des Verfassungsschutzes, hat in Hamburg einen guten Namen, weil er nicht so viele Geheimnisse um seine Arbeit macht. Er versucht, die Dinge so gut wie möglich beim Namen zu nennen. »Nicht alle Gläubigen, die so eine Moschee besuchen, sind militant. Viele benutzen die Mosche ganz normal zum Beten und als sozialen Treffpunkt.«
Doch wer sehr präventiv denkt, kann schon dies als verdächtig betrachten: Beten heißt fromme Hinwendung zu einer Religion, die immerhin den Dschihad, den gewaltsamen Kampf nahelegt. Und sozialer Treffpunkt? Auch das wirft Fragen auf: Mit wem treffen sich die Frommen da? Und was ist mit denen, die sie treffen? Wissen wir nicht, dass der Terrorismus ein globales Netzwerk ist? Jeder soziale Treffpunkt ist verdächtig, ein Knoten in diesem Netzwerk zu sein.
Einen Menschen wegen seines religiösen oder sozialen Verhaltens unter Verdacht des Terrorismus zu stellen, wäre eine massive Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit. Was also rät Manfred Murck seinen Schlapphüten, um ihrem präventiven Handwerk mit dem nötigen Respekt nachzugehen? Murck sagt, es sei nötig, Indizien zu finden, die auf Dschihadisten hinweisen.
Gut. Also woran erkennt man einen Dschihadisten? Bekennt er sich offen zum bewaffneten Kampf, hat er gar ein Terroristenlager in Pakistan besucht, fällt es nicht besonders schwer, einen
Dschihadisten auszumachen. Doch um solche Aussagen über einen Kandidaten treffen zu können, bedarf es zunächst genauerer Untersuchungen durch Herrn Murcks Späher. Man kann also einen Dschihadisten meist nur erkennen, wenn man einen Dschihadismus-Verdächtigen eine Weile beobachtet. Dies stellt uns nun vor die Frage: Woran erkennen wir einen Dschihadismus-Verdächtigen? Was ist geeignet, Dschihadismus-Verdacht zu erregen? Ein solcher Verdacht liegt nahe, sagen die Experten, wenn es Hinweise auf die Gewaltbereitschaft von Moscheebesuchern gibt. Gut, dann also die Frage: Was für Hinweise könnten das sein? Woran erkennen wir die Gewaltbereitschaft?
Herr Murck reicht ein Merkblatt herüber, darauf steht: »Als gewaltbereit werden die Mitglieder/Anhänger von Gruppierungen und Organisationen eingestuft, die ihre Ziele auch mit Gewalt im In- und/oder Ausland verwirklichen wollen, sowie Personen, zu denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie im In- und/oder Ausland islamistisch motivierte Gewalttaten ausüben oder aktiv unterstützen würden.«
Die Formulierung klingt sehr präzise mit ihren Schrägstrichen. Doch ist sie auch hilfreich? Es gibt über drei Millionen offen bekennende Islamgläubige in Deutschland, ein Drittel davon hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Wird die interne Dienstanweisung dazu beitragen, wenigstens ein paar militante Feinde der westlichen Welt ausfindig zu machen? Gewaltbereit sind danach Personen, die Gewalt ausüben »wollen«, sowie Personen, die Gewalt ausüben »würden«. Für die zweite Kategorie bedarf es noch zusätzlich »tatsächlicher Anhaltspunkte«. Die Definition wirft drei - zumindest mit rechtsstaatlichen Mitteln -schwer lösbare Probleme auf: Wie erfahre ich, was jemand wirklich will? Und: Wie erkenne ich aus den zahllosen
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