Der globale Polizeistaat
Oberklasse der Islamisten mag noch so hoch sein - allein aufgrund dieser Aussage lässt sich nicht sagen, ob ein bekennender Islamist, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird, demnächst eine Straftat begehen wird, ja nicht einmal, ob er überhaupt in einem Terrorlager war. Der Schluss von statistischen Häufigkeiten auf einzelne Menschen wird in der Umgangssprache als Vorurteil bezeichnet. Jedenfalls eignet er sich nicht für rechtsstaatliches Handeln.
Umgekehrt ist aber auch nicht von einer konkreten Person auf eine Ereignisklasse zu schließen. Was auch immer der verdächtige Islamist, der jeden Abend in die Hamburger Moschee zum Beten kommt, noch so tut - nach den bis hierher bekannten Prognosemodellen reicht es nicht, auf eine Ereignisklasse zu schließen. Und ein einzelnes Ereignis, ein Verbrechen wie es das niedersächsische Polizeigesetz im Auge hat, soll ja gerade nicht prognostiziert werden: Ein Vorgehen gegen »Gefährder« soll ja möglich sein, ohne dass eine konkrete Situation bevorsteht und abgewehrt werden muss.
Deshalb ist es nicht hilfreich, wenn die genannten Bestimmungen über die Verfolgung von »Gefährdern« den Schluss von einer Person auf die Begehung von Verbrechen einer bestimmten Art an das Vorliegen rechtfertigender Tatsachen knüpfen: Die herkömmlichen polizeirechtlichen Prognosemodelle erlauben keine Klärung, auf welche Tatsachen es dabei ankommen soll. Solange dies aber nicht geklärt ist, können die entsprechenden Befugnisnormen nicht als hinreichend rechtlich bestimmt angesehen werden.
Dem lässt sich entgegenhalten, dass Prognosen ähnlicher Struktur auch im Strafrecht zu finden sind. Hier wird häufig auf die kürzlich verschärfte Regelung zur Sicherungsverwahrung von verurteilten Tätern in Paragraf 66b StGB verwiesen. 15 Dort ist
die Rede von einer »erheblichen Gefährlichkeit des Verurteilten«, die darin besteht, dass »er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird«. Und tatsächlich sind solche Regelungen auch das Vorbild, an denen Günther Jakobs seine Ideen von einem »Feindstrafrecht« gegen Terroristen orientiert. 16 Hier ist der Strafrichter aufgefordert, eine Prognose anzustellen, ob der Täter so gefährlich ist, dass er auch nach Abbüßen einer langen Strafe zu isolieren ist, um künftige Straftaten zu verhindern. Diese außerordentlich umstrittene Strafrechtsvorschrift wird dadurch entschärft, dass sie sich immerhin auf Personen bezieht, die bereits einmal in schrecklicher Weise bewiesen haben, wozu sie fähig sind. Einen Terroristen, der schon einmal einen schweren Terroranschlag verübt hat, in Sicherheitsverwahrung zu nehmen, würde wohl auch nicht solche Diskussionen auslösen, wie der Versuch, einen Menschen zu belangen, bevor er einschlägig auffällig geworden ist. Darüber hinaus ist die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung eine Maßnahme, die nur nach sehr gründlicher wissenschaftlicher Untersuchung des Delinquenten möglich ist, unter Umständen auch seiner jahrelangen Beobachtung in der Haft. Dies alles sind Ermittlungsmethoden, die einem Terroristenfahnder naturgemäß nicht zur Verfügung stehen. Mag der Geheimdienst seine Kundschaft auch lange Zeit beobachten, zu medizinischen Untersuchungen könnte und dürfte er Kandidaten, die als »Gefährder« in Betracht kommen, nicht bringen.
Gleichwohl ist einzuräumen, dass auch bei der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung ein Schluss von der Aussage über einen Menschen auf Aussagen über eine Klasse von möglichen Untaten in der Zukunft von der Rechtsordnung vorgesehen ist. Genauer zu prüfen, worauf es bei einer solchen Art von Prognose ankommen soll, könnte darum zur Präzisierung des »Gefährder«-Begriffs nützlich sein. Woran also kann man seine Feinde erkennen?
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Wenn es darum geht, »Risikopersonen« abseits von aller konkreten Gefahrenabwehr ausfindig zu machen, sind die Geheimdienstler tatsächlich ziemlich gewieft. Feinde rechtzeitig zu erkennen, ist ihr Metier. Deshalb lohnt es sich, erneut einen Blick auf das Merkblatt zu werden, das Manfred Murck vom Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg seinen Leuten in die Hand drückt. Nochmals der Text: »Als gewaltbereit werden die Mitglieder/Anhänger von Gruppierungen und
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