Der globale Polizeistaat
Organisationen eingestuft, die ihre Ziele auch mit Gewalt im In- und/oder Ausland verwirklichen wollen, sowie Personen, zu denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie im In- und/ oder Ausland islamistisch motivierte Gewalttaten ausüben oder aktiv unterstützen würden.«
Nicht einschlägig organisierte Personen werden danach als »gewaltbereit«, also feindlich, angesehen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie »islamistisch motivierte Gewalttaten ausüben... würden«. Zunächst erscheint diese Formulierung verwirrend. Wir wollen doch wissen, was sie tun werden, nicht was sie tun würden. Doch Schlapphüte sind Menschen, die in der Welt des Möglichen, Irrealen so lange zu Hause sind, dass eine genauere Beschäftigung mit ihren Gedankengängen lohnt.
Die Formulierung fordert erneut einen kurzen Ausflug in die Aussagenlogik.
Sätze mit »würde« haben nur einen Sinn, wenn sie mit ebenfalls irrealen Sätzen mit »wenn« kombiniert werden. Dann entstehen sogenannte irreale Konditionalsätze der Art: »Wenn A. in Geldnot käme, würde er Banken überfallen«. Das kann man sagen, problematisch ist nur zu präzisieren, was es genau bedeuten soll. Lässt sich überhaupt sagen, ob der Satz wahr oder falsch ist?
Da die Wenn-Voraussetzung ja gerade nicht vorliegt, lässt sich vom Vorliegen der Dann-Folge nicht mal sagen, dass sie unzutreffend ist. Die einzige Möglichkeit ist ein Test: Wir bringen A. in Geldnot und sehen, was er macht. Nun ist es aber gerade das, was das hamburgische Landesamt für Verfassungsschutz vermeiden soll: dass der Ernstfall ausprobiert wird. Es muss also etwas anderes gemeint sein mit den »Anhaltspunkten« für so eine, den Probanden innewohnende Gesetzmäßigkeit, die uns eine minimale Berechtigung gibt, in irrealen Konditionalsätzen über unsere Feinde zu sprechen. Nur was?
Das Problem, ein Sicherheitsrecht zum Kampf gegen Terroristen zu formulieren, ist überhaupt nicht neu. Vorschriften im Kampf gegen »Gefährder« gibt es im gesamten technischen Sicherheitsrecht. Da hat der Feind allerdings die Form von Reaktoren oder Schornsteinen. Atomkraftwerke und Industrieanlagen unterliegen einem dichten Kontrollsystem - und da stehen die Behörden vor der gleichen Aufgabe wie neuerdings bei der Abwehr von Großverbrechen: Weil man nicht abwarten kann, bis etwas passiert ist, muss Vorsorge betrieben werden. Weil andererseits behördliche Eingriffe und Auflagen regelmäßig gegen die Eigentumsinteressen sehr mächtiger Wirtschaftsunternehmen gerichtet sind, die sich sehr gute Anwälte leisten können, ist die Auslegung und Rechtsstaatlichkeit der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften ausgepaukt bis zum Letzten. Bis vors Bundesverfassungsgericht ist etwa die Frage gegangen, wie weit die Sicherheit von Atomkraftwerken gewährleistet werden muss. Was genau bedeutet es, wenn Paragraf 7 Absatz 2 Ziffer 3 Atomgesetz die Genehmigung eines Reaktors an »die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden … durch den Betrieb der Anlage« knüpft. Was ist damit gemeint, dass nach Paragraf 5 des Bundesimmissionschutzgesetzes »Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen« durch ein Chemiewerk getroffen werden muss?
Eine präzise Analyse dieser Vorschriften 17 zeigt das gleiche Muster, das den auf »Gefährder« bezogenen irrealen Konditionalsätzen
der Verfassungsschützer zugrunde liegt: Wie würde der fragliche Atomreaktor reagieren, wenn ein Flugzeug auf ihn stürzen würde? Was würde aus dem Schornstein des Chemiewerkes an giftigen Abgasen kommen, wenn der Salzsäurekessel überhitzt würde? Man will es gar nicht wissen, man hofft nur, dass es nie passiert. Vorsorge besteht darin, beispielsweise den Atomreaktor so zu konstruieren, dass er auch nicht platzt, wenn ein Flugzeug auf ihn stürzt. Oder darin, einen alten Reaktor regelmäßig daraufhin zu untersuchen, ob er so etwas aushalten würde (!), und wenn nicht, ihn stillzulegen.
Es geht um die »Disposition« einer Anlage, unter bestimmten, möglichen, aber nicht gerade wünschenswerten Bedingungen auf eine gewisse Weise zu reagieren. Das ist die GAU-Philosophie, die von einem Atomkraftwerk verlangt, den »größten anzunehmenden Unfall« ohne unannehmbare Katastrophenfolgen wegzustecken. Nach derselben Philosophie werden auch Flugzeuge gebaut und gewartet. Mit Gefahrenabwehr hat das alles nichts mehr zu tun. Es ist eine Philosophie des Möglichen.
Der Vergleich zwischen Terrorabwehr
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