Der globale Polizeistaat
aus dem sie so leicht nicht mehr herauskommt. Die Idee für das Listenverfahren gegen den Terror stammt von den Vereinten Nationen. Der Sicherheitsrat beschloss bald nach dem 11. September 2001, Osama Bin Ladens Terrorkonten zu sperren - mithilfe aller Geldinstitute der Welt. Mit einer Resolution verpflichtete der Sicherheitsrat alle Uno-Mitglieder, die Gelder der Personen einzufrieren, die auf einer vom Uno-Sanktionsausschuss geführten Liste stehen. Als Prominentester landete natürlich auf der Liste: »Usama bin Laden (auch bekannt als Usama Bin Muhammad Bin Awad, auch bekannt als Osama bin Laden, auch bekannt als
Abu Abdallah Abd Al-Hakim). Geboren am 30. 7. 1957, Jeddah, Saudi-Arabien. Aberkennung der saudischen Staatsbürgerschaft, jetzt offiziell afghanischer Staatsangehöriger.«
So etwas kann sinnvoll sein, wenn es die Richtigen trifft und wenn es hinreichend Rechtsschutz für jene gibt, die sich zu Unrecht betroffen fühlen. Doch der Uno-Sanktionsausschuss hat natürlich keine eigenen Terrorismusforscher, sondern arbeitet auf Zuruf. Und der wichtigste Stichwortgeber ist die CIA, der folternde Geheimdienst der einzigen Supermacht im Sicherheitsrat, der USA. Gegen dessen Erkenntnisse sind ohnehin keine Rechtsmittel gegeben. Und welche Gerichte hätten die Vereinten Nationen auch aufbieten sollen, Listenwünsche der Sicherheitsratsmitglieder zu überprüfen?
Die Weltorganisation meinte, das Problem damit lösen zu können, dass sie die Durchführung der Finanzsanktionen in die Hand der Mitgliedstaaten legte: In einem Land wie Deutschland etwa, so die berechtigte Erwartung, gibt es nicht nur ein Grundgesetz, sondern auch detaillierten Rechtsschutz. Ein unzureichend gerechtfertigtes Vorgehen gegen gelistete Terrorverdächtige, sollte man meinen, würde schon vom nächsten Verwaltungsgericht abgeblasen.
Aber da sah die Europäische Union ihre Chance, sich ein Profil als Pionier der Sicherheit gegen den Terrorismus zu geben. Auf Vorschlag der Kommission erließ also der Rat die Verordnung Nr. 881/2002 »über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen, die mit Osama Bin Laden, dem Al-Quaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen«. In der Verordnung werden die Sanktionen gegen Firmen, Vereinigungen und Personen auf der jeweils aktualisierten Uno-Terrorliste zum verbindlichen europäischen Recht erklärt, das alle Bürger aller Mitgliedstaaten der EU befolgen müssen.
Das war tatsächlich ein kühner Schritt - denn nicht nur, dass die EU-Kommission zu solchen martialischen Schritten gar nicht verpflichtet gewesen wäre, sie wäre dafür auch gar nicht zuständig gewesen. Die Aufgabe der Bewahrung der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts ist - jedenfalls vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages - eine Kompetenz der so genannten »Dritten Säule«. In diesem Bereich darf das Recht der Mitgliedstaaten zwar per Rahmenbeschluss koordiniert werden - aber die EU darf kein eigenes, für die Mitgliedstaaten verbindliches Recht setzen. Rechtsverordnungen sind also gar nicht zulässig, die Kommission, das Machtzentrum der Gemeinschafts-Politik, hat hier nichts zu suchen.
Mit welcher Chuzpe sich die Kommission über solche Grenzen hinwegsetzt, hat sie beispielsweise bewiesen, als sie per Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Vorratsdatenspeicherung der Telefonund Internetverbindungen zwang: Es gehe hier um die Regelung des Binnenmarktes, darum sei sie zuständig, argumentierte die Superbehörde. Zur Rechtfertigung der Terrorliste argumentierte Brüssel mit der »Erwägung«, die Anti-Terror-Verordnung sei »insbesondere zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen erforderlich«. 31 Es ist natürlich wahr, dass die Kommission zur Verteidigung des freien Wettbewerbs in der EU aufgerufen ist. Aber wenn es auch nur einen Funken von Humor im düsteren Reich des Islamismus gäbe, müsste dieses Dokument in die Sammlung von Beispielen für die Verrücktheit des Gegners aufgenommen werden. Da macht sich doch die größte Wirtschaftsmacht der westlichen Welt ernsthaft Mühe, den fairen Wettbewerb der Terrorfinanziers zu schützen.
Vielleicht liegt es daran, dass niemand in Europa die wortreichen Texte aus Brüssel wirklich liest - jedenfalls gab es keinen Widerspruch gegen die neue EU-Machtvollkommenheit. Wenn Sicherheit die Voraussetzung von Freiheit ist, dann ist ja in solchem Machtzuwachs eigentlich ein Freiheitsgewinn zu sehen. So müssen sie das beim Rat der EU auch gesehen
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