Der globale Polizeistaat
seinem Schwert vor den Gefahren der Umwelt beschütze. Um der Freiheit willen haben die selben Bürger irgendwann Rechtsstaat und Demokratie durchgesetzt: dem Leviathan Fesseln angelegt.
Europa - ein Monster? - könnte tatsächlich ein neues Staatsmodell sein, in dem Leviathan nicht nur für die Sicherheit, sondern auch für die Freiheit sein Schwert schwingt. Dann braucht er tatsächlich keine Fesseln, dann braucht er mehr Schwerter. Doch diese Freiheit, die Europa meint, ist eine andere Freiheit: Es ist die vom Staat gewährte Freiheit vor den Gefahren des Terrorismus, vor der Angst vor Verbrechen. Diese Freiheit ist nur ein anderes Etikett für Sicherheit. Der »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« ist in Wahrheit der Raum des europäischen Polizeistaates.
In diesem Staat gibt es kein Halten mehr. Beschlüsse über den Europäischen Haftbefehl werden mit Beschlüssen über die »Europäische Beweisanordnung« erweitert, mit deren Hilfe neuerdings etwa Hausdurchsuchungen in Deutschland im Auftrag anderer EU-Staaten stattfinden dürfen. Ein europäischer Staatsanwalt darf gemäß dem Vertrag von Lissabon vorerst nur im Großraum der europäischen Sicherheit ermitteln, wenn er Finanzinteressen der Union betroffen sieht, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Zuständigkeit des obersten EU-Ermittlers auch - wie im Vertrag schon vorgesehen - auf Terrorermittlungen erweitert. Anders als Staatsanwälten in den alten Rechtsstaaten steht dem EU-Staatsanwalt keine Strafprozessordnung zur Seite, die essenzielle Rechte des Verdächtigen festschreibt. Was geschieht mit unzulässig erlangten Beweisen? Welche Geheimdienstmethoden sind im europäischen Raum der Sicherheit erlaubt? Nichts ist geregelt.
Stattdessen haben die europäischen Mitgliedstaaten Sorge getragen, dass über den europäischen Knotenpunkt Europol ein umfassender Informationsaustausch gewährleistet ist. Die Haager Datenkrake organisiert die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit einschließlich des Austausches personenbezogener Informationen von »Gefährdern«, dazu DNA-Analysen, Fahrzeugdaten, Fingerabdrücke. Ziel ist der Aufbau zentraler Datenbanken für die europäische Terrorismusbekämpfung, ein Pool, in den Verdächtigungen und Beschuldigungen, Verurteilungen und Beobachtungen, selbst Daten über Kontaktpersonen und mutmaßliche Unterstützer der Terrorszene ohne jede gerichtliche Kontrolle Aufnahme finden. So landen im großen Topf Informationen, die nach der Rechtsordnung einzelner Mitgliedstaaten gar nicht erhoben werden dürften. Dazu soll neuerdings auch ein Satz detaillierter Angaben über die Flugreisen aller EU-Bürger gehören, die von der EU bei den Luftfahrtgesellschaften einverlangt werden. Komplettiert wird die Rundumüberwachung durch das mittlerweile in die Union übernommene Schengen-Informationssystem (SIS), das alle Personen, die das Schengengebiet betreten oder verlassen, einer Registrierung und bei Bedarf auch einer beobachtenden Verfolgung quer durch den Raum der Sicherheit und Freiheit unterwirft.
Der Motor solcher Entwicklungen ist nicht die Kommission, sondern es sind die sogenannten G-6-Treffen: Die Innenminister der sechs größten EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen treffen sich regelmäßig zu informellen Runden, um die nächsten Schritte abzusprechen, die sie dann im Brüsseler Rat der Innen- und Justizminister durchsetzen wollen. Das Spiel läuft ohne jede parlamentarische Kontrolle: Wenn der Deutsche Bundestag oder das Europäische Parlament auf die Dinge aufmerksam werden, ist alles schon festgeklopft.
Eine Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik vom Januar 2007 stuft diese Sicherheitspolitik als bedenklich ein: »So ist belegt, dass die Politikgestaltung auf europäischer Ebene es
den sicherheitsorientierten Akteuren der nationalen Exekutiven prozedural erleichtern kann, ihre Prioritäten unter Umgehung des nationalen Parlaments und der Opposition durchzusetzen. Dadurch, dass sie die Diskussion der Anti-Terror-Maßnahmen auf die europäische Ebene heben, gelingt es den nationalen Exekutiven, ihre Handlungsspielräume als faktischer Gesetzgeber auszuweiten. Die Regierungen können nämlich, indem sie die Terrorabwehr in den Verhandlungszusammenhang der intergouvernementalen Zusammenarbeit der EU stellen, einen im Kern innenpolitischen und die nationale Souveränität berührenden Aufgabenbereich als
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