Der globale Polizeistaat
heutigen Präsidenten Nicolas Sarkozy hat Frankreich für Europa polizeistaatliche Maßstäbe gesetzt. Im Juli 2008 meldete sich die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, um mit einer Studie vor den französischen Zuständen zu warnen. Die Franzosen selbst sind auch noch stolz darauf: Sicherheitsexperten verweisen - so berichtet International Herald Tribune - darauf, dass der französische Weg der »flexiblen« Anwendung der Sicherheitsgesetze das Land bisher vor großen Anschlägen bewahrt habe. »Flexibel« ist auch der Umgang mit Verdächtigen. Human Rights Watch behauptet, mutmaßliche Terroristen würden - ähnlich wie bei der CIA - einem oppressive questioning unterzogen, folterähnlichen Befragungsmethoden inklusive Schlafentzug und Psychoterror.
Unterstellt, es stimmt, was die weltweit renommierte Organisation an »glaubwürdigen Beschuldigungen« (Studie) undementiert verbreitet: Was bedeutet es für das Prinzip der »gegenseitigen Anerkennung«? Müssen wir uns darauf einrichten, dass Folter demnächst zum europäischen Bestand gehört? Natürlich nicht. Völkerfreundschaft und auch die Begeisterung für den freien Wettbewerb kann nicht zur unkritischen Übernahme von Menschenrechtsverletzungen aus purem Gemeinschaftsgeist führen. Und Schweden: Seit 2009 gilt dort ein Gesetz, das es dem militärischen Geheimdienst des EU-Mitgliedstaats nach US-Vorbild erlaubt, ohne richterliche Anordnung den gesamten grenzüberschreitenden Kommunikationsverkehr zu belauschen und aufzuzeichnen. Auch dies zum Schutz vor dem Terrorismus. Muss dies, weil die EU die EU ist, auch zum Level deutscher Telefonüberwachung werden?
Das wird es wohl durch den europäischen Datenverbund, der Schritt um Schritt ausgebaut wird: In gemeinsamen Antiterrordateien
bringen die europäischen Partner ein, was sie nach dem Polizeirecht ihres Landes an Informationen über ihre Bürger und über Ausländer sowieso ausspioniert haben. Der unbegrenzte Datenaustausch im Zeichen des gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts überwindet nicht nur die Grenzen der Mitgliedstaaten, sondern auch die Grenzen der jeweiligen Rechtsstaaten. Terroristendaten fließen frei als gegenseitig anerkannte digitale Spuren von staatlichen Eingriffen, die nicht mehr daraufhin befragt werden, ob sie vielleicht Übergriffe waren. Mit der Verwendung von Daten, die aus dem Hochsicherheitsland Sarkozys kommen, werden etwaige Menschenrechtsverletzungen nicht nur anerkannt, sondern sogar perpetuiert. Rechtsstaatswidriges Verhalten kann ansteckend wirken, der Virus ist digital und verbreitet sich rasend schnell.
Dem lässt sich natürlich entgegenhalten, dass zum Gemeinschaftsgeist im Raum der Sicherheit auch das gegenseitige Vertrauen der Partner gehöre, das Vertrauen in die Treue zu Menschenrechten und Menschenwürde. Als Konstrukt lässt sich diese Haltung eine Weile aufrechterhalten, ganz Europa ist ja ein Konstrukt des Vertrauens und des guten Willens. Solange die Daten Europas im gemeinsamen Haus bleiben, könnte man sagen, ist es in Ordnung - aber was, wenn sie jemand herausgibt?
Und genau das betreibt die EU mit Fluggastdaten: 2007 haben Wolfgang Schäuble als Vertreter der deutschen Ratspräsidentschaft und sein Freund Michael Chertoff, der damalige US-Heimatschutzminister der USA, vereinbart, dass das Ministerium in Washington vorab Daten jedes Europäers erhält, der in einen Transatlantikflieger steigt: Alle Daten zur Person, sogar die private Telefonnummer, auch sensible Informationen wie die über Religionszugehörigkeit, die Reisedaten dazu, Sonderwünsche an Bord, sogar die Nummer des Gepäckabschnitts, falls am Ziel Schnüffelbedarf besteht. Das US-Heimatschutzministerium darf die Daten, wenn es Anlass dazu sieht, weitergeben an FBI und CIA: damit sind sie drin, im weltweiten Datenkreislauf. Und dieser Datenkreislauf wird nach Schäubles Willen immer weiter
angeheizt: Nicht nur mit den USA, auch mit Russland möchte der deutsche Innenchef Abkommen schließen.
Was will nur alle Welt mit den Fluggastdaten? Der ehemalige EU-Justizkommissar und Schäuble-Freund Franco Frattini kann das genau erklären: »Terroristen reisen vor ihren Anschlägen, und hinterher auch.« Registriert man alle Fluggäste, hat man mit großer Sicherheit auch Terroristen auf dem Schirm.
Es ist die Logik der Total-Überwachung. Und diese Logik muss etwas so Faszinierendes haben, dass sie im »Raum der Sicherheit« immer weiter um sich greift. Das nächste
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