Der globale Polizeistaat
die Sache aber noch relativ harmlos. Da herrschte noch Frieden. Nun sind wir im Krieg: Josef K. steht im Verdacht, ein »feindlicher Kämpfer« zu sein.
»›Ich will doch Frau Grubach …‹, sagte K., machte eine Bewegung, als reiße er sich von den zwei Männern los, die aber weit von ihm entfernt standen, und wollte weitergehen. ›Nein‹, sagte der Mann beim Fenster, warf das Buch auf ein Tischchen und stand auf: ›Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet.‹
›Es sieht so aus‹, sagte K. ›Und warum denn?‹, fragte er dann.
›Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe über meinen Auftrag hinaus, wenn ich Ihnen so freundschaftlich zurede. Wenn Sie weiterhin so viel Glück haben wie bei der Bestimmung Ihrer Wächter, dann können Sie zuversichtlich sein.‹«
Die ätzende Süße des Tons verursacht jedem Übelkeit, der mal von der Stasi verhört wurde oder auch nur in einem der abgelegenen Räume der Grenzkontrollbaracken bei der Einreise in die DDR festgehalten wurde. Sie wühlen in deinen Büchern, sie sind scheißfreundlich und sagen dir nicht mal, was sie eigentlich gegen dich in der Hand haben.
»Was waren denn das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht.«
K. konnte nicht wissen, dass er als »feindlicher Kämpfer« in der Datei des Bundeskriminalamtes geführt wurde. Feindliche Kämpfer sind Personen, die als »Gefährder« identifiziert sind und deren Gefährlichkeit als so erheblich anzusehen ist, dass sie außerhalb der normalen Rechtsordnung stehen, Menschenrechte und Grundrechte gelten für sie nur sehr eingeschränkt. Weil sie Feinde im Krieg gegen den Terror sind und weil der Krieg gegen den Terror anders ist als normale Kriege, gilt für sie auch kein normales Kriegsrecht. Genau betrachtet galt für K. überhaupt kein Recht.
»›Wie kann ich denn verhaftet sein, und gar auf diese Weise?‹
›Nun fangen Sie also wieder an‹ sagte der Wächter und tauchte ein Butterbrot ins Honigfässchen. ›Solche Fragen beantworten wir nicht.‹
›Sie werden sie beantworten müssen‹, sagte K. ›Hier sind meine Legitimationspapiere, zeigen Sie mir jetzt die Ihrigen und vor allem den Verhaftbefehl.‹
›Du lieber Himmel‹, sagte der Wächter, ›dass Sie sich in Ihre Lage nicht fügen können und dass Sie es drauf angelegt zu haben scheinen, uns, die wir Ihnen jetzt wahrscheinlich von allen Ihren Mitmenschen am nächsten stehen, nutzlos zu reizen!‹«
K. hatte nicht bedacht, dass es schon deshalb keinen Haftbefehl gegen ihn geben konnte, weil er ja gegen kein Strafgesetz verstoßen hatte. Er hatte, wie gesagt, überhaupt nichts Böses getan.
K. muss sich bei Kafka belehren lassen, »dass die hohen Behörden, in deren Dienst wir stehen, ehe sie eine solche Verhaftung verfügen, sich sehr genau über die Gründe der Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. Es gibt darin keinen Irrtum. Unsere Behörde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung. Sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen.«
»›Dieses Gesetz kenne ich nicht‹, sagte K.
›Desto schlimmer für Sie‹, sagte der Wächter. ›Sie werden es zu fühlen bekommen.‹«
Hier verabschieden wir uns von Kafka und führen die Geschichte vom feindlichen Kämpfer K. im Krieg gegen den Terror weiter. K. wird, um es kurz zu machen, auf den Rücksitz eines Autos ohne Innenklinken gesetzt, wobei er die sowieso nicht benutzen könnte, weil er gefesselt ist. Auf seine Bitte, seinen Anwalt zu informieren, lautet die lakonische Gegenfrage: »Warum?«
Weil er sich das nicht gefallen lassen wolle. Der Anwalt müsse die Sache vor Gericht bringen. Das ganze müsse ein Irrtum sein. Es gebe keinerlei Beweise für eine terroristische Tätigkeit. Er kenne auch keine Terroristen.
K.s Wächter antwortet, ein Anwalt könne schon deshalb nichts tun, weil für ihn gar kein Strafrichter zuständig sei. Und das sei nur logisch, denn die Erkenntnisse über ihn und seine Absichten stammten von ausländischen Geheimdiensten, die legen ihre Beweismittel niemals vor. Ob hier ein Irrtum vorliege, werde sich ja bei den Verhören im Lager herausstellen.
Im Lager?
K. wird
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