Der globale Polizeistaat
sich schützend und fördernd vor seine Bürger zu stellen; das heißt vor allem, die Bürger auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. An diesem Gebot haben sich alle staatlichen Organe, je nach ihren besonderen Aufgaben, auszurichten.« 11 Aus solchen, nicht ganz neuen Überlegungen folgern Staatsrechtler wie der Bonner Josef Isensee ein »Grundrecht auf Sicherheit«. Der Rest ist Dogmatik: Von dieser Grundlage aus lässt sich jeder Verfassungsbruch, kann er nur als verhältnismäßig verkauft werden, als »Verteidigung des Grundrechts auf Sicherheit« verteidigen.
Wiefelspütz tut so, als habe er mit seiner Argumentation das Bundesverfassungsgericht auf seiner Seite. Er verweist für seine Thesen auf das berühmte Karlsruher Urteil zur Entführung Hanns Martin Schleyers. Im Herbst 1977 ging es um die Frage, ob die Bundesregierung das Leben des Arbeitgeberpräsidenten retten müsse, indem sie auf die Forderungen der Entführer eingeht. Das Gericht verneinte dies im Ergebnis, statuierte aber gleichzeitig: Das Grundrecht auf Leben »verpflichtet den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Angriffen von Seiten anderer zu bewahren«. 12 Wiefelspütz übernimmt
in seinen Darlegungen den Wortlaut des Urteils mit einer kleinen, gemeinen Änderung. In Karlsruhe ging es um den Schutz des akut bedrohten einzelnen Lebens. Beim innenpolitischen Sprecher der SPD wird daraus der Schutz der Bürger vor jedem rechtswidrigen Angriff. So macht man Politik.
Ein Grundrecht auf Sicherheit gibt es nicht. Eine solche Gewährleistung ist zwar durch die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in die Welt gelangt, in modernen Verfassungen jedoch hat das Grundrecht auf Sicherheit keinen Platz, weil es nicht begrenzbar und folglich nicht einklagbar ist. Es führt jedoch ein Eigenleben als Leerformel für den Krieg gegen den Terrorismus: Der Krieg gegen verdächtige Bürger dient ab sofort dem Grundrechtsschutz.
Warum dann nicht auch die Folter? Seit der Vizepräsident der Frankfurter Polizei dem - damals noch mutmaßlichen - Kindermörder Magnus Gäfken körperliche Qualen androhte, um ihn dazu zu bringen, das Versteck seines vielleicht noch lebenden Opfers preiszugeben, ist das Tabu gebrochen: Ist die Verletzung des Folterverbots im Notstandsfalle erlaubt? Eine breit in der Rechtswissenschaft vertretene Ansicht neigt zu einem vorsichtigen Ja. Der Osnabrücker Rechtsphilosoph Rainer Trapp fand auch gleich die richtigen Worte. Statt von Folter müsse man gegebenenfalls von »selbstverschuldeter Rettungsbefragung (SRB)« sprechen. 13 Auch der Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat offenbar schon mal darüber nachgedacht: Er sah jedenfalls dann keinen Verstoß gegen die Menschenwürde in solchen staatlichen Rettungsaktionen, wenn der Malträtierte »die Situation in der Hand hat oder so herbeiführt, dass er als Subjekt voraussehbar die Bedingung für bestimmte Konsequenzen setzt und verantwortet«. Denn »der wird nicht erniedrigt, wenn die öffentliche Gewalt in erforderlichem Umfang darauf reagiert«. 14 Ähnlich gefährliche Überlegungen stellt auch der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel an, wenn es nicht nur um Folter, sondern um den gezielten staatlichen Todesschuss geht: Ein Täter, der damit rechnen müsse, vom Staat unschädlich
gemacht zu werden, sei in Wahrheit »de-jure-suicident«, begehe rechtlich Selbstmord,wenn er von seinem Tun nicht ablasse. 15
»Selbst schuld«, dies ist die Stammtischversion dieser wissenschaftlich formulierten Ansicht. Doch von welcher Grenze seiner Unbotmäßigkeit an soll ein Täter rechtlos gestellt sein? Erst, wenn er trotz Aufforderung die Waffe nicht fallen lässt? Oder schon, wenn er in Verdacht steht, trotz Aufforderung vielleicht die Waffe nicht fallen zu lassen? Oder schon, wenn er als einer gilt, der Waffen mit sich führt? Oder schon, wenn er eine Reise nach Pakistan antritt in der Absicht, dort den Umgang mit Waffen zu erlernen? Oder gar, wenn einer vermutlich einer Gruppe angehört, deren Mitglieder die Absicht haben könnten … - wir wollen das nicht weiterverfolgen: Das Präventionsrecht, das Juristen wie Pawlik oder Politiker wie Wiefelspütz im Kopf haben, wird auf jede klare tatbestandsmäßige und durch Fakten überprüfbare Abgrenzung im Interesse
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