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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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Flugzeugen nach den Regeln des Kriegsvölkerrechts: Ein Flugzeug, das als feindliches, nicht von den Schutzregeln der Genfer Konventionen geschütztes Objekt zu betrachten ist, darf angegriffen und abgeschossen werden. Der Tod von Zivilisten ist, so weit unvermeidlich, als »Kollateralschaden« in Kauf zu nehmen - so weit nicht die Menschenopfer den militärischen Vorteil massiv überwiegen. Zuständigkeitsprobleme für das Militär: keine. Menschenwürdebedenken: keine. Es ist ja Krieg.
    Indem das Verfassungsgericht - verfassungsdogmatisch durchaus angreifbare - Einwände solcher Art geltend machte, statuierte es, dass der Unterschied zwischen Krieg und Frieden keineswegs, wie der Innenminister und mit ihm ein großer Teil der Rechtsgelehrten finden, verschwimme. Ein Terroranschlag vergleichbar dem am 11. September 2001 in den USA, gedacht in Deutschland, fällt laut Verfassungsgerichtsurteil nicht in die Kategorie Krieg,
sondern in den Zuständigkeitsbereich diesseits der Grenze unserer Verfassung. Anschlägen, die nicht schlimmer sind als der am 11. September, darf nach herrschender Verfassungslage nicht mit den Mitteln des Krieges begegnet werden. Der Krieg gegen den Terror findet im Staat des Grundgesetzes nicht statt.
    Die Reaktion in Berlin war entschlossen: »Das darf so nicht stehen bleiben«, hieß es im Bundesinnenministerium, das schon damals nicht mehr von den finster entschlossenen SPD-Autoren des Luftsicherheitsgesetzes, sondern vom freundlich entschlossenen Wolfgang Schäuble geleitet wurde. Wenn der Krieg gegen den Terror ein Verstoß gegen das Grundgesetz ist, umso schlimmer für das Grundgesetz: Dann muss es halt geändert werden. Dass es ohne Verfassungsänderung nicht gehen würde, hatte Schäuble den sozialdemokratischen Luftschützern von vornherein prophezeit. So konnte er, bei allem Ärger über das Urteil, immerhin triumphierend darauf verweisen, dass er wieder mal recht behalten habe.
    Die Schwierigkeit bestand allerdings darin, dass man nun zwar versuchen konnte, die Kompetenzregeln der Verfassung umzuschreiben und eine kriegsfreundlichere Fassung mit der Zweidrittel-Koalitionsmehrheit in Kraft zu setzen. Doch die Bedenken des Gerichtes in Bezug auf die Menschenwürde ließen sich nicht so einfach wegregeln: Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes ist gemäß Artikel 79 unveränderbar.
    So hat das Verfassungsgericht eine unübersteigbare Hürde errichtet: Im Geltungsbereich des Grundgesetzes ist jede Rechtsbestimmung, die eine Relativierung der Garantie der Menschenwürde in der Auslegung des Verfassungsgerichts mit sich bringt, unzulässig, für immer. Punkt.
    Und wenn es wirklich zu einem Krieg kommt? Die Richter haben eine winzige Hintertür gelassen: Über den Fall der »Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind«, brauche der Senat nicht zu entscheiden, denn darum gehe es jedenfalls in Situationen wie denen des 11. September 2001
nicht. Mit dieser Klausel haben die Richter tatsächlich große Verwirrung gestiftet. Haben sie doch - wie Schäuble meint - den Fall terroristischer Angriffe auf die Grundlagen des Gemeinwesens der Verfügung des Innenministers überlassen wollen? Warum haben sie diesen Vorbehalt überhaupt geäußert, wenn doch der Schutz der Menschenwürde vorbehaltslos ist?
    Immerhin ist klargestellt, dass die Grenze zum Krieg jedenfalls deutlich hinter dem Terrorangriff mit Zivilflugzeugen verläuft. Denn den Fall des 11. September haben die Richter ja gerade als Anwendungsfall der Friedensordnung des Grundgesetzes gesehen. Es muss, so lässt sich folgern, schon deutlich Schlimmeres geschehen, damit man von einem »Fall des Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens« sprechen kann. Nur was denn - und was soll dann gelten? Darüber eben ist gerade keine Entscheidung getroffen.
    »Man hätte sich damit zu weit ins Völkerrecht vorgewagt«, sagt zur inoffiziellen Erklärung einer vom Verfassungsgericht. 18 Der Satz ins Ungefähre macht die massive Argumentationsklemme deutlich, die das Gericht mit seinem mutigen Verdikt in Kauf genommen hat: Es lässt sich unter Zugrundelegung der absoluten Menschenwürde-Interpretation nämlich nicht schlüssig begründen, warum die Garantien, die das Verfassungsgericht für den Fall des Friedens gibt, im Krieg nicht gelten.
    Verfassungsdogmatisch ist die Sache klar: Die öffentliche Gewalt muss die Menschenwürde eines jeden Menschen

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