Der globale Polizeistaat
effektiver Terrorbekämpfung verzichten. Der Fall Josef K. zeigt, wie leicht solche Ideen in den Unrechtsstaat führen können: Hatte der Gefangene K. in seinem Käfig auf Helgoland es etwa nicht in der Hand, das Abspielen von Yoko-Ono-Liedern sofort zu stoppen, wenn er nur endlich gestanden hätte, was man von ihm hören wollte? Ja, natürlich, das sieht man ja schon daran, dass er tatsächlich gestanden hat.
»Wo ist der Punkt gekommen«, fragt der ehemalige Verfassungsrichter und Staatsrechtsprofessor Dieter Grimm, »von dem an ich nicht mehr mein Modell einer freien menschenwürdigen Gesellschaft verteidige, sondern es demjenigen annähere, das ich eigentlich bekämpfe?«
Für das Karlsruher Bundesverfassungsgericht war der Punkt gekommen, als die Rot-Grüne Koalition 2004 ein »Luftsicherheitsgesetz« verabschiedete, in dem vorgesehen war, voll besetzte Passagierflugzeuge in Terroristenhand abzuschießen. Es war das Gesetz, das die Arbeit der Wächter in der Luftsicherheitszentrale von Uedem bei Kalkar 16 auf eine Rechtsgrundlage stellen sollte - die Antwort auf die Frage, was passieren soll, wenn
eine Linienmaschine plötzlich von ihrem Kurs abweicht und im Sinkflug (vermutlich? vielleicht? möglicherweise?) auf ein voll besetztes Hochhaus oder während eines Länderspiels auf ein Fußballstadion zurast. Die Antwort: Krieg. Die Kampfjets der eilig aufgestiegenen Alarmrotten der Bundeswehr sollten aus ihren Bordkanonen die Schüsse abgeben, die mit Sicherheit Hunderte das Leben kosten würde. Darunter auch die Terroristen.
Dieses Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht im Luftsicherheitsurteil 17 im Februar 2006 für nichtig erklärt. Zwei Verdikte des Gerichtes waren es, die seitdem die innenpolitische Debatte über den Krieg gegen den Terror prägen: Zum einen erklärten die Richter, der Einsatz kriegerischer Mittel im Inland sei von der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht erlaubt. Zum zweiten sahen die Richter im gezielten Abschuss und damit in der vorsätzlichen Tötung unbeteiligter Passagiere eine Verletzung der Garantie der Menschenwürde in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, die in Verbindung mit dem Schutz des Lebens in Artikel 2 des Grundgesetzes die bewusste Inkaufnahme des Todes von hilflosen Menschen verbiete - sei, wie hier angenommen, das Ziel auch die Rettung weit größerer Menschenmengen. Solche Abwägung zwischen (mehr) Menschen und (weniger) Menschen sei im Staat des Grundgesetzes generell verboten. Denn nicht nur sei das Leben das höchste Gut der Verfassung, es sei auch jedes einzelne Leben gleich viel wert. »Schlechthin verboten ist jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in Frage stellt, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der dem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins zukommt.«
Das Urteil betraf einen extrem unwahrscheinlichen Einzelfall. Dass sich tatsächlich der 11. September 2001 in Deutschland wiederholt, dass dann ein Terrorflugzeug so rechtzeitig entdeckt wird, dass die Abfangjäger rechtzeitig aufsteigen können, dass es dann noch Erfolg verspricht, das Flugzeug abzuschießen, dass der drohende Schaden am Boden durch einen Abschuss eine
solche Entscheidung nicht von vornherein verbietet: all dies erwartet kein ernst zu nehmender Politiker im Lande. Über die Entscheidung aus Karlsruhe wird dennoch seit Jahren heiß gestritten. Denn mit ihrem Urteil haben die Richter - offenbar ganz gezielt - den Umbau des Rechtsstaates zum Kriegsstaat auf breiter Front stoppen wollen. Schon mehrfach hat das Gericht, wo die demokratische Politik versagte, mit seinem Veto die Geschichte der Bundesrepublik geprägt. So war es 1958, als die Richter in ihrem »Lüth-Urteil« den prägenden Einfluss grundrechtlicher Freiheiten für die gesamte Rechtsordnung statuierten. So war es 1961 beim Versuch Konrad Adenauers, mithilfe einer Bund-Länder-Großmauschelei staatskontrolliertes Fernsehen einzuführen. Und so war es auch 2006: Das »Luftsicherheitsurteil« könnte die Geschichte der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts bestimmen.
Die Bedeutung des Richterspruchs erschließt sich erst richtig auf der Grundlage der Geschichte von Josef K., dessen »Status als Rechtssubjekt« von höheren Mächten missachtet wurde. Es ist eine Absage an den Import des Krieges in den Staat des Grundgesetzes. Vergleichen wir die Karlsruher Rechtslage mit der beim Abschießen von
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