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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Notre-Dame war die Verurteilte unverletzlich. Die Kathedrale war tatsächlich eine Freistatt. Auf ihrer Schwelle erstarb jede menschliche Gerechtigkeit.
    Quasimodo blieb unter dem Portale stehen. Seine breiten Füße schienen auf dem Pflaster der Kirche so fest zu wurzeln, wie die römischen Pfeiler. In seinen schwieligen Händen hielt er das zitternde Mädchen mit soviel Vorsicht, als fürchte er, er möchte sie zerbrechen oder knicken. Es schien, als fühle er, sie sei zartes, köstliches Spielzeug, für andere Hände als für die seinigen geschaffen. Sein Gnomenauge senkte sich voll Zärtlichkeit, Schmerz und Mitleid bald auf ihre Gestalt, bald aber erhob es sich plötzlich funkelnd. Die Frauen lachten und weinten, die Menge jauchzte; denn in dem Augenblick zeigte Quasimodo eine eigentümliche Schönheit. Er, die Waise, das Findelkind, der Auswurf der Menschheit, war schön; er fühlte sich erhaben und stark; er blickte der Gesellschaft, aus der er verbannt war, in die er mit solcher Gewalt eingriff, ins Antlitz; er empfand, wie er der menschlichen Gerichtsbarkeit die Beute entrissen hatte, wie jene Tiger, Richter, Sbirren, Herren, mit den Zähnen im Leeren knirschten, wie er, der Hefe des Volkes entstammend, die Macht des Königs mit Gottes Kraft zerbrach.
    Nach einigen Minuten des Triumphes stürzte Quasimodo mit seiner Last in die Kirche hinein. Das Volk, das für wirkliche Heldentaten stets etwas übrig hat, folgte ihm im dunklen Schiff mit dem Blick und bedauerte, daß er sich so schnell seinem Zuruf entzog. Plötzlich sah man ihn am äußersten Punkte der Königsgalerie wieder zum Vorschein kommen; er durchlief sie wie wahnsinnig, hob das Mädchen auf den Armen empor und rief: „Freistatt! Freistatt!“ Wieder ließ das Volk donnernden Beifall vernehmen. Nachdem Quasimodo die Galerie durcheilt, stürzte er in das Innere der Kirche zurück; sogleich aber erschien er auf der oberen Platte, trug die Zigeunerin, lief wie wahnsinnig umher, und rief: „Freistatt!“ Lauter Jubel erhob sich aufs neue. Endlich erschien er zum dritten Male auf der Spitze des Glockenturms; es schien, als wolle er stolz der ganzen Stadt das gerettete Mädchen zeigen, und seine furchtbare Stimme, die man so selten vernahm, und die er selbst nie hörte, rief bis in die Wolken: „Freistatt! Freistatt! Freistatt!“
    „Bravo, Bravo!“ rief das Volk, und dieser ungeheure Zuruf setzte selbst die Klausnerin am Grèveplatz in Erstaunen, die, das Auge auf den Galgen geheftet, noch immer wartete.

36. Das Fieber
    Claude Frollo war nicht mehr in Notre-Dame, als sein Adoptivsohn so gewaltsam die verhängnisvolle Schlinge durchschnitt, in der der Archidiakonus sich selbst und die Zigeunerin gefangen hielt. Als er in die Sakristei trat, riß er die Alba, die Stola, den Chormantel sich heftig vom Leibe, warf sie dem erstaunten Küster in die Hände, entschlüpfte durch die Hintertür des Klosters und befahl einem Schiffer, ihn auf das linke Seineufer überzusetzen. Dort eilte er in die hügeligen Straßen der Universität, ohne zu wissen, wohin er ging, wo er war, was er dachte und ob er träumte. Er lief in jede Straße, auf die er zufällig traf, ohne sie zu wählen; er sah sich gleichsam verwirrt, getrieben von dem schrecklichen Grèveplatz, von dem er dunkel fühlte, er liege hinter ihm. Er fuhr fort zu fliehen, solange er die Ringmauern der Türme der Universität und die spärlichen Häuser der Vorstadt erblicken konnte; als aber eine Bodensenkung ihm das verhaßte Paris gänzlich entzogen hatte, als er sich, auf hundert Stunden von der Stadt entfernt, im Felde und in einer Wüste wähnen konnte, blieb er stehen, und es schien, als atme er auf.
    Da drängten sich furchtbare Gedanken in seinem Geiste. Er durchschaute seine Seele und bebte. Er dachte an das unglückliche Mädchen, das er vernichtete und durch das er vernichtet ward. Er warf einen verstörten Blick auf die gewundenen Pfade, auf die das Geschick sie beide führte, bis sie am Durchschneidungspunkte unerbittlich beide aneinander zerschmetterten. Er dachte an die Torheit der ewigen Gelübde, an die Eitelkeit des Wissens, der Keuschheit, der Religion, der Tugend, an die Nutzlosigkeit der Gottesidee. Mit Freude versank er in böse Gedanken, und je mehr er sich in sie vertiefte, desto mehr vernahm er das Hohnlachen des Satans in seinem Herzen. Plötzlich ward er wieder blaß; denn er betrachtete die scheußliche Seite seiner unheilvollen Leidenschaft, die giftige, nagende, hassende,

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