Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
zerbrochene kleine Fensterscheibe in Form der gotischen Rosette über der Tür ließ einen steinernen Kreis offen, durch den, wie man übereinkam, die Bewerber den Kopf stecken sollten. Um dort hinaufzureichen, genügte es, auf die Tonnen zu klettern, die man, ich weiß nicht woher, herbeigeschafft und so gut wie möglich aufeinandergelegt hatte. Es war beschlossen, jeder Bewerber, Mann oder Weib (denn man konnte auch eine Päpstin wählen), sollte, um den Eindruck der Fratze jungfräulich und firsch zum besten zu geben, sich das Gesicht verhüllen und in der Kapelle verbergen, bis der Augenblick der Erscheinung gekommen wäre. In einem Augenblick war die Kapelle voll Bewerber, hinter denen man die Tür zuschloß.
Coppenole befahl, leitete und ordnete von seinem Platze aus alles. Während des Lärms hatte sich der Kardinal, ebenso wie Gringoire außer Fassung gebracht, mit seinem Gefolge unter dem Vorwande der Vesper und anderer Geschäfte entfernt, ohne daß die Volksmasse, die seine Ankunft in solche Aufregung versetzt, sich im geringsten um seinen Abgang bekümmerte.
Die Fratzen begannen. Die erste Figur, die in der Luke sich zeigte, hatte rote, aufgeschlagene Augenwimpern, einen Mund, der aufgerissen war wie ein Rachen, und eine Stirn, die an Runzeln den Husarenstiefeln aus Napoleons Herrschaft glich. Sie erweckte ein so unauslöschliches Gelächter, daß Homer jenes Publikum für seine Götter gehalten hätte. Eine zweite, dritte Fratze folgte, dann eine vierte, eine fünfte, und stets ward Gelächter und Freudengeschrei verdoppelt.
Es gab weder Studenten, noch Gesandte, noch Bürger, weder Männer, noch Weiber; es gab keinen Clopin Trouillefou, keinen Gilles Lecornu, keinen Robin Poussepain; jede Einzelheit erlosch in der allgemeinen Ausgelassenheit. Der ganze Saal war nichts als ein großer Schmelzofen von Frechheit und Lustbarkeit, wo jeder Mund ein Schrei, jedes Auge ein Blitz, jedes Gesicht eine Fratze war, alles schrie und heulte. Die sonderbaren Gesichter, welche in der Luke nacheinander mit den Zähnen knirschten, glichen in die Glut geschleuderten Bränden; von der glühenden Volksmasse erhob sich, wie der Dunst des Schmelzofens, ein scharfes pfeifendes Geräusch, lärmend wie die Flügel einer Wespe.
„Ho! He! Verflucht! – Sieh die Fratze! – Sie taugt nichts. – Eine andere! – Guillemette Maugerepuis, sieh das Ochsenmaul! Es fehlen ihm nur die Hörner. Dein Mann ist es nicht. – Eine andere Fratze! – Betrug! Man darf nur sein eigenes Gesicht zeigen! – Ich ersticke! – Da ist einer, dessen Ohren nicht hindurch können!“ Und so weiter.
Gringoire hatte sich indessen wieder gesammelt, nachdem der erste Augenblick der Niedergeschlagenheit vorüber war. Er stählte sich gegen sein Unglück. „Fahrt fort!“ hatte er zum drittenmal seinen Schauspielern, den Sprechmaschinen, zugerufen; dann schritt er mit großen Schritten vor der Marmortafel vorüber und faßte den Gedanken, auch seinerseits sich in der Luke der Kapelle zu zeigen, wäre es auch nur, um das Vergnügen zu haben, dem undankbaren Volk eine Fratze zu schneiden. – Aber nein, dachte er, das wäre meiner unwürdig; keine Rache! Kämpfen wir bis ans Ende! Groß ist der Einfluß der Poesie aufs Volk; ich führe es mir zurück! Sehen will ich, wer den Sieg gewinnt, die Fratzen oder die schönen Künste.
Ach, er war der einzige Zuschauer seines Stückes geblieben! Es war ihm noch schlimmer ergangen; denn er sah nur noch die Rücken. Aber nein, auch der ungeduldige dicke Mann, den er schon einmal im kritischen Augenblick um Rat fragte, stand mit dem Gesicht gegen die Bühne.
Gringoire ward im Grunde seines Herzens über die Treue seines einzigen Zuschauers gerührt. Er ging auf ihn zu, schüttelte ihn sacht am Arm, ihn anzureden; der brave Mann hatte sich nämlich auf das Geländer gestützt und schlief ein wenig. „Herr“, sagte Gringoire, „ich danke Euch!“ – „Wofür?“ fragte der dicke Mann gähnend. – „Ich sehe, was Euch langweilt“, begann der Dichter aufs neue; „der Lärm da hindert Euch, gemächlich zuzuhören. Beruhigt Euch. Euer Name soll dafür auf die Nachwelt kommen; beliebt es Euch, mir ihn zu nennen.“ – „Renauld Chateau, Siegelbewahrer des Châtelet von Paris, Euch zu dienen.“ – „Hier seid Ihr der einzige Repräsentant der Musen.“ – „Zu gütig, Herr.“ – „Ihr seid der einzige, der das Stück, wie es sich geziemt, gehört hat. Wie findet Ihr es?“ – „Oh, Oh!“ erwiderte
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