Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
und die Worte sind trefflich. Gewiß, Didymus von Alexandrien war kein schlechter Philosoph. – Ein Wort, schönes Kind, bitte nur ein Wort! – Beiläufig gesagt, Ihr habt ja ein so hübsches kleines Mäulchen; verzieht Ihr das noch immer? Wißt Ihr auch, meine Liebe, daß über alle Freistätten das Parlament Gerichtsbarkeit besitzt, und daß Ihr in Eurem Kämmerchen zu Notre-Dame Euch großer Gefahr ausgesetzt habt? Ach! Der kleine Vogel Trochylus baut sein Nest in dem Rachen des Krokodils. – Meister, der Mond kommt wieder hervor – wenn man uns nur nicht sieht! – Wir begehen eine löbliche Handlung, indem wir Euch, mein Fräulein, retten, und packte man uns, würde man uns dennoch im Namen des Königs hängen. Ach! Alle menschlichen Handlungen haben zwei Henkel. Worum man dich krönt, darum hängt man mich. Mancher bewundert Cäsar, welcher Katilina tadelt. – Nicht wahr, Meister? Was haltet Ihr von der Philosophie? Ich besitze Philosophie aus Instinkt, von Natur, ut apes geometriam.* – Niemand antwortet. Verdrießliche Launen habt ihr beide. – Ich muß mit mir allein reden. Das nennen wir in Tragödien Monologe halten. – Gottes Ostern! Ich habe König Ludwig gesehen und den Schwur behalten. – Also: Gottes Ostern! Welch ein Geheul in der Altstadt! – Es ist ein häßlicher, boshafter, alter König, ganz in Pelz gemummt. Auch ist er mir noch immer das Geld für mein Hochzeitsgedicht schuldig; ich kann noch froh sein, daß er mich heute abend nicht aufhängen ließ, denn dies wäre mir sehr ungelegen gekommen. Gegen Männer von Verdienst ist er ein Geizhals. Er sollte die vier Bücher adversus avaritiam des Salvianus Coloniensis lesen. – Wahrhaftig, gegen Gelehrte ist er grob und begeht auch sehr viele Grausamkeiten. Er liegt wie ein Schwamm auf dem Volke und saugt dessen Geld ein. Seine Sparkasse ist wie die Milz, welche bei der Magerkeit anderer Glieder anschwillt. – Auch werden die Klagen über die Kälte der Jahreszeit zum Murren gegen den König. Unter dieser andächtigen, sanften Majestät brechen die Galgen von der Zahl der Gehängten, und die Schafottblöcke verfaulen durch Menschenblut; die Gefängnisse bersten wie vollgepfropfte Bäuche. Der König nimmt mit der einen und hängt mit der andern Hand. Er ist der Staatsprokurator der Dame Abgabe und des Herrn Galgen. Die Großen sind ihrer Würde beraubt, und die Kleinen werden stets durch neue Lasten erdrückt. Der Fürst ist übermäßig gefräßig. Ich liebe ihn nicht; vielleicht Ihr, Meister?“
* Lateinisch: Wie die Bienen Geometrie.
Der schwarze Mann ließ den schwatzhaften Dichter sprechen und steuerte emsig gegen die heftige Strömung.
„Beiläufig gesagt, Meister“, begann Gringoire plötzlich wieder; „bemerkte Euer Ehrwürden in dem Augenblick, als wir durch die tollen Landstreicher auf den Vorplatz der Kirche kamen, den armen kleinen Teufel, dem Euer Tauber gerade im Begriff war, das Gehirn an dem Geländer der Königsgalerie zu zerschmettern? Ich bin kurzsichtig und konnte ihn nicht erkennen. Wißt Ihr vielleicht, wer es ist?“ Der Unbekannte erwiderte kein Wort, hörte aber plötzlich auf zu rudern, seine Arme sanken wie zerbrochen nieder, sein Haupt fiel auf die Brust, und Esmeralda hörte ihn krampfhaft seufzen. Sie bebte, denn solche Seufzer hatte sie schon vernommen. Die sich selbst überlassene Barke ward einige Augenblicke vom Strome fortgetrieben. Endlich aber raffte der schwarze Mann sich wieder auf, ergriff das Ruder und suchte den Strom wieder hinaufzufahren. Er umschiffte die Spitze der Insel Notre-Dame.
„Ach“, sprach Gringoire, „dort steht das Palais Barbeau. Seht, Meister, die Gruppe schwarzer Dächer mit sonderbaren Winkeln unter der niedrigen, faserigen, schmutzigen Wolkenmasse, durch die der Mondschein wie das Gelbe eines Eies durch die zerbrochene Schale dringt. Das ist ein schönes Haus. Dort steht eine Kapelle, gekrönt mit einem kleinen Gewölbe voll schöner Schnörkel; darüber ragt ein zierlich durchschnittener Turm. Dann kommt ein schöner Garten mit einem Teich, und da steht auch ein Baum, welcher der Liebesbaum heißt, weil er dem Vergnügen einer berühmten Prinzessin und eines galanten Dichters, eines Connetables von Frankreich, diente. – Ach, wir armen Dichter sind mit einem Connetable verglichen, dasselbe, was ein Kohl- und Radieschenbeet im Garten des Louvre. Was tut’s! Das menschliche Leben ist für die Großen wie für uns aus Leid und Freude gemischt. Der Schmerz folgt
Weitere Kostenlose Bücher