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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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geöffnet. Als die Nachbarn das Kriegsgeschrei der Leute des Königs vernahmen, mischten sie sich in den Streit und Kugeln regneten von allen Dächern auf die Landstreicher herab. Der Vorplatz war voll vom dicken Rauch des Flintenfeuers. Nur undeutlich erkannte man die Fassade von Notre-Dame und das alte Hotel-Dieu mit einigen mageren Krankengesichtern, die aus den Luken des schuppigen Daches hinabblickten. Endlich wichen die Landstreicher. Ermüdung, Mangel an guten Waffen, der Schrecken der Überrumpelung, das Flintenfeuer der Fenster, der tapfere Angriff der Reiter des Königs, alles schlug ihren Mut nieder. Sie durchbrachen die Linie der Angreifenden, flohen nach allen Richtungen und verließen die Haufen ihrer Toten auf dem Vorplatz.
    Als Quasimodo, der nicht ein Augenblick aufgehört hatte zu fechten, die Niederlage erblickte, fiel er auf die Knie und erhob die Hände zum Himmel; dann lief er fort, trunken vor Freude, stieg mit der Schnelligkeit eines Vogels zur Zelle hinauf, deren Zugang er so unerschrocken verteidigt hatte. Er hatte nur einen Gedanken, vor dem Mädchen auf die Knie zu sinken, nachdem er es zum zweitenmal gerettet. Als er aber in die Zelle trat, fand er sie leer.
    Esmeralda schlief, als die Landstreicher die Kirche stürmten. Bald aber entriß sie der stets wachsende Lärm und das unruhige Meckern der Ziege ihrem Schlummer. Sie richtete sich auf dem Lager auf, horchte und blickte auf den Platz. Erschreckt durch den Lärm und Fackelschein, enteilte sie ihrer Zelle, um besser sehen zu können. Das Aussehen des Platzes, die hin und her flutenden Erscheinungen, die Unordnung des nächtlichen Sturmes, die scheußliche Volksmasse, hüpfend wie ein Schwarm Frösche, und, im Dunkel nur undeutlich erblickt, die herumgereichten und im Dunkel sich kreuzenden Fackeln wie Irrlichter auf Morästen in der Nacht, die ganze Szene machte bei ihr den Eindruck einer Schlacht zwischen den Phantomen des Sabbats und den Ungeheuern der Kirche. Von Kindheit an voll des Aberglaubens der Zigeuner, dachte sie zuerst, sie habe die sonderbaren Nachtgeister bei ihren Übeltaten überrascht. Erschreckt eilte sie fort, sich in ihre Zelle zu ducken, und erhoffte auf ihrem Lager einen weniger furchtbaren Alp.
    Allmählich zerstreuten sich jedoch die ersten Eindrücke der Furcht. An dem stets wachsenden Lärm und an einigen anderen Zeichen der Wirklichkeit merkte sie, daß sie nicht von Gespenstern, sondern von Menschen überfallen werden sollte. Da verwandelte sich ihr Schrecken, ohne sich zu vermehren. Sie hatte schon an die Möglichkeit eines Volksaufstandes gedacht, um sie ihrem Asyl zu entreißen. Der Gedanke, noch einmal ihr Leben, jegliche Hoffnung auf Phoebus, mit dessen Bild sie noch immer die Zukunft erheiterte, zu verlieren, das tiefe Gefühl ihrer Schwäche, der Unmöglichkeit, zu fliehen, keiner Stütze, ihres Alleinseins und tausend andere Gedanken erdrückten sie. Sie sank auf die Knie, stützte ihr Haupt aufs Bett, faltete die Hände, zitterte voll Angst und betete zum Gott der Christen und Unserer Frau, ihre Beschützerin, ob sie gleich als Zigeunerin Heidin war. Hegt man auch gar keinen religiösen Glauben, so gibt es doch im Leben Augenblicke, wo man einfach die Religion des Tempels, in dem man sich befindet, annimmt. So lag sie lange Zeit auf dem Boden. In Wahrheit, sie zitterte stärker, als sie betete, und erstarrte immer mehr bei dem Hauch der herandringenden wütenden Menge, wußte nicht, was vorging, was man tat und wollte, ahnte aber einen furchtbaren Ausgang.
    Plötzlich vernahm sie den Schall von Schritten in ihrer Nähe. Sie wandte sich um. Zwei Männer, von denen einer eine Laterne trug, traten in ihre Zelle. Sie stieß einen schwachen Schrei aus.
    „Fürchtet nichts“, sprach eine ihr nicht unbekannte Stimme. „Ich bin’s.“ – „Wer?“ fragte sie. – „Peter Gringoire.“
    Dieser Name beruhigte sie. Sie schlug die Augen auf und erkannte wirklich den Dichter. Neben ihm aber stand eine schwarze, bis auf die Füße verhüllte Gestalt, über deren Schweigen sie betroffen ward.
    „Ah!“ sprach Gringoire mit dem Tone des Vorwurfs, „Djali hat mich eher erkannt als Ihr.“
    Die kleine Ziege hatte wirklich nicht gewartet, bis Gringoire seinen Namen nannte. Kaum war er eingetreten, als sie sich zärtlich an seinem Knie rieb.
    „Wer ist bei Euch?“ sprach die Zigeunerin mit leiser Stimme. „Seid unbesorgt“, erwiderte Gringoire, „ein Freund von mir.“
    Hierauf setzte der Dichter seine

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