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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Mann stand still, wandte sich zu ihr und hob seine Kapuze auf. „Oh“, stammelte sie erschrocken, „ich wußte, daß er es war.“
    Der Mann blieb stehen. Sein Antlitz im Mondschein war wie das eines Gespenstes; wie es scheint, sieht man bei diesem Lichte nur die geisterhaften Umrisse der Dinge.
    „Hier“, sprach er, und sie zitterte beim Ton dieser unheilvollen Stimme, die sie schon lange nicht mehr vernommen hatte. Er fuhr fort in kurzen, keuchenden Absätzen, die durch ihre Gewaltsamkeit ein heftiges inneres Zittern enthüllten. „Höre! Hier stehen wir! Ich will dich sprechen. Dies ist der Grèveplatz, ein äußerster Punkt. Das Verhängnis überlieferte uns einander. Ich entscheide über dein Leben, du über meine Seele. Hier ist ein Platz und eine Nacht, die für uns beide verhängnisvoll werden können. Höre, was ich sage. Vor allem sprich nicht von deinem Phoebus! (Er ging bei dem Namen hin und her wie ein Mensch, der nicht auf einem Platze stehen bleiben kann, und riß sie stets mit fort.) Sprichst du den Namen aus, so weiß ich nicht, was ich tun werde, aber gewiß etwas Furchtbares.“
    Als er dies gesprochen, stand er wie ein Körper, der seinen Schwerpunkt wiedergefunden, still; aber seine Worte enthüllten noch immer heftige Bewegung. Seine Stimme ward immer leiser. „Wende den Kopf nicht um, höre mich: Die Angelegenheit ist ernst. Höre, was vorging – oh, ich schwöre dir, darüber lacht man nicht. – Was sagte ich doch? Erinnere mich daran. – Ah so! Das Parlament erließ einen Beschluß, der dich dem Tode wieder überliefert. Ich habe dich ihren Händen entrissen, aber sie verfolgen dich. Sieh!“ –
    Er streckte den Arm zur Altstadt aus. Die Nachsuchungen schienen fortgesetzt zu werden. Der Lärm kam näher. Der Turm des Hauses der Wachoffiziere, der dem Grèveplatz gegenüberlag, war voll von Getöse und Fackelschein. Man sah auf dem entgegengesetzten Kai Soldaten mit Fackeln unter dem Geschrei umherlaufen: „Die Zigeunerin! Wo ist die Zigeunerin? Zum Tode mit ihr! Zum Tode!“
    „Du siehst, sie verfolgen dich, und ich lüge nicht. Ich liebe dich! – Öffne den Mund nicht; sprich noch nichts, wenn du mir sagen willst, wie du mich hassest. Ich will das nicht mehr hören. – Ich rettete dich. – Laß mich enden. – Ich kann dich gänzlich retten. Alles habe ich vorbereitet. Du brauchst nur zu wollen. Komm, wenn du willst.“ Er unterbrach sich heftig: „Nein, so darf ich nicht reden.“
    Sie mit sich fortreißend (denn er ließ sie nicht los), lief er gerade auf den Galgen zu, zeigte ihn ihr und sprach kalt: „Wähle zwischen uns beiden.“
    Sie riß sich los, sank am Fuße des Galgens nieder, umarmte dies Gerüst des Todes, wandte ihr schönes Haupt zur Hälfte um und blickte den Priester über die Schulter an. So glich sie der heiligen Jungfrau am Fuße des Kreuzes. Der Priester stand unbeweglich da, erhob den Arm noch immer zum Galgen und glich, indem er die Stellung beibehielt, einer Statue. Endlich sprach die Zigeunerin: „Vor dem Galgen schaudere ich weniger als vor Euch!“
    Da ließ er den Arm langsam sinken und beschaute das Pflaster mit dem tiefsten Schmerz. „Könnten die Steine reden“, sprach er, „so würden sie sagen, ich sei der unglücklichste Mensch!“
    Das Mädchen kniete vor dem Galgen nieder und ließ, von seinem langen Haar umflossen, ihn weiterreden. Jetzt nahm seine Stimme einen sanften, klagenden Ton an, der mit dem rauhen Stolz seiner Züge in schmerzlichem Gegensatz stand. Er begann wieder:
    „Ich liebe dich! Oh, wie wahrhaft! So teilt denn dies Herz dir nichts von dem Feuer mit, welches es verbrennt! Verdient dies kein Mitleid? Ich sage dir, die Liebe quält mich Tag und Nacht! Sie gleicht der Folter. – Oh, armes Kind, ich leide unendlich. – Ich versichere dich, ich bin des Mitleids wert. Du siehst, ich rede sanft mit dir. Ich möchte wohl, daß du nicht so vor mir schaudertest. – Ist es die Schuld eines Mannes, wenn er ein Weib liebt? Oh Gott! Du wirst mir nie verzeihen! Stets mich hassen? Es ist vorbei! Siehst du, so werde ich ein Bösewicht! Ich schaudere vor mir selbst. – Du blickst mich nicht einmal an. Du denkst vielleicht an etwas anderes, während ich auf der Schwelle der Ewigkeit, für uns beide zitternd, mit dir rede. – Vor allem sprich mir nicht von jenem Offizier! Wie? Ich sollte dir zu Füßen stürzen! Ich sollte nicht deine Füße (du wirst es nicht wollen), nein, den Boden unter deinen Füßen küssen; ich würde

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