Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
ein Maikäfer in der Schachtel.“
Ein lautes Lachen erhob sich in dem Volke, als man Quasimodos Höcker, Kamelbrust und schwielige, haarige Schultern erblickte. Während dieses fröhlichen Gelächters stieg ein Diener der Stadt von kurzem Wuchs und starkem Oberkörper auf die Platte und stellte sich neben Quasimodo. Sein Name war bald im Munde der Zuschauer. Es war Meister Pierrat Torterue, geschworener Folterer des Châtelet.
Auf eine Ecke des Schandpfahls stellte er eine schwarze Sanduhr, deren obere Kapsel mit rotem Sand gefüllt war, der in den unteren Behälter langsam hinabrann; dann zog er sein Oberkleid aus, hängte über seine rechte Hand eine dünne Peitsche mit langen, weißen, blanken, knotigen, geflochtenen Riemen, am unteren Ende mit Metallknöpfchen. Mit der linken Hand krempelte er nachlässig sein Hemd über den rechten Arm bis zur Achselhöhle.
Jehan Frollo erhob unterdessen sein blondes, lockiges Haupt über dem Gedränge (er war auf Poussepains Schulter gestiegen) und schrie laut: „Herren und Damen, schaut her! Quasimodo wird exemplarisch gepeitscht! Er ist der Glöckner meines Bruders, des Archidiakonus, ein Schelm orientalischer Architektur, mit der Kuppel auf dem Rücken und mit gedrehten Säulen statt der Beine!“ Und das Volk fing laut an zu lachen, besonders die Kinder und die hübschen Mädchen.
Endlich stieß der Folterer mit dem Fuße; das Rad drehte sich. Quasimodo wankte unter seinen Banden. Das dumme Staunen auf seinem mißgestalteten Gesicht erweckte aufs neue lautes Gelächter. Plötzlich als das Rad im Umdrehen dem Meister Pierrat den hügeligen Rücken Quasimodos zeigte, erhob Meister Pierrat den Arm; die dünnen Riemen pfiffen scharf durch die Luft wie eine Handvoll Nattern und fielen mit Wucht auf die Schultern des Unglücklichen. Quasimodo schüttelte sich, als wäre er plötzlich aufgewacht. Er fing an, seine Lage zu begreifen, krümmte sich unter seinen Banden; Überraschung und Schmerz zog alle Muskeln seines Gesichts zusammen; er stieß aber nicht einen Seufzer aus; nur drehte er den Kopf nach allen Seiten hin und schwankte, wie ein durch Bremsen gestochener Stier. Ein zweiter Schlag folgte dem ersten, dann ein dritter und so fort. Das Rad hörte nicht auf sich zu drehen, und die Schläge regneten. Bald sprang Blut hervor, man sah es über die schwarzen Schultern des Buckligen rieseln, und die fadenartigen Riemen sprengten es, durch die Luft peitschend, in Tropfen über das Volk.
Quasimodo war, wenigstens scheinbar, in seine frühere Unempfindlichkeit zurückgesunken. Anfangs versuchte er, ohne große Anstrengung, die Bande zu zerreißen. Da aber flammte sein Auge, seine Muskeln wurden gespannt, seine Glieder stemmten sich, und gespannt wurden Riemen und Kettchen. Die Anstrengung war wunderbar, verzweifelt; allein die starken Bande der Prévoté widerstanden. Sie krachten nur. Quasimodo sank erschöpft zurück. Der blöde Ausdruck seines Antlitzes wich dem bittern Gefühl der Entmutigung. Er schloß sein einziges Auge, ließ das Haupt auf die Brust sinken und glich einem Toten. Dann rührte er sich nicht mehr. Der Schmerz entriß ihm keine Bewegung; weder sein rinnendes Blut, noch die stets heftigeren Schläge, noch der Zorn des Folterers, der bis zum Rausche stieg, noch das Pfeifen der furchtbaren Geißel vermochte ihn aufzuregen. Endlich streckte ein schwarzgekleideter Häscher des Châtelet, der zu Pferde neben der Leiter seit dem Anfang der Exekution saß, eine Rute von Ebenholz nach der Sanduhr aus. Folterer und Rad hielten an; Quasimodos Auge öffnete sich langsam. Die Geißelung war beendet.
Zwei Knechte des geschworenen Folterers wuschen ihm die Schultern, rieben sie mit einer Salbe, die sogleich alle Wunden schloß, und warfen ihm einen als Meßgewand zugeschnittenen gelben Schurz über die Schultern. Pierrat Torterue ließ unterdes die mit Blut gefüllte Geißel auf dem Pflaster abträufeln. Für Quasimodo war aber noch nicht alles vorbei. Er mußte noch die Stunde am Schandpfahl aushalten, die Meister Florian Barbedienne so scharfsinnig zum Urteil des Prévot hinzugefügt hatte, und zwar ganz allein zum größeren Ruhme des alten physiologischen und psychologischen Wortspiels von Jean de Cumène: Surdus absurdus. Man drehte die Sanduhr um und band den Buckligen vom Brett nicht los, damit Gerechtigkeit bis zum Ende geschehe.
Wir sagten schon, daß Quasimodo allgemein gehaßt ward, und zwar aus guten Gründen. Im Gedränge war kein Zuschauer, der nicht
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