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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Ursache zur Klage über den bösen Hinkenden von Notre-Dame zu haben glaubte. Die Freude war allgemein, daß er am Schandpfahl stand. Die harte Geißelung, die er erlitt, und die demütige Stellung, worin sie ihn ließ, war eben nicht dazu geeignet, die Zuschauer milder zu stimmen, im Gegenteil, ihr Haß ward dadurch boshafter, denn er waffnete sie mit der Spitze des Spottes. Als nun das Rechtsgefühl der Menge befriedigt war, kam die Reihe der Rache an die einzelnen. Hier besonders, wie früher im Saale des Palais, brachen die Weiber zuerst los. Alle grollten ihm, teils ob seiner Bosheit, teils ob seines häßlichen Gesichts; die letzteren waren die wütendsten.
    „Oh, Maske des Antichrist“, rief die eine. – „Ritter vom Besenstiel“, rief die andere. – „Tragische Fratze“, heulte eine dritte, „sie machte dich zum Narrenpapst, wäre gestern heute!“ – „Das ist die Fratze des Schandpfahls“, sagte ein altes Weib, „bald kommt bei dir die Fratze des Galgens!“ – „Verfluchter Glöckner, als Kopfputz gebührt dir deine dicke Glocke!“ – „Tauber, Einäugiger, Buckliger, Wechselbalg!“ – „Du bringst die Frauen zu Fehlgeburten, mehr als alle Ärzte und Apotheker!“ – Schimpfwörter, Gezisch, Steine regneten von allen Seiten. Quasimodo war taub, sah aber deutlich genug, denn der Ausdruck der Wut zeigte sich nicht weniger auf den Gesichtern wie in den Worten. Übrigens erklärten die Steinwürfe genugsam das Gelächter.
    Anfangs hielt er aus; allein die Geduld, die unter der Geißel erstarrte, wich bei allen den Insektenstacheln. Er glich einem asturischen Stier, der bei dem Stacheln des Pikador ruhig bleibt, aber über Hunde und Banderillos wütend wird. Zuerst ließ er einen drohenden Blick über das Volk schweifen. Da er aber geknebelt war, vermochte der Blick die Fliegen nicht zu verjagen, die ihn in die Wunde stachen. Dann regte er sich unter seinen Banden, und unter seinen wütenden Stößen krachten die Bretter des alten Rades. Da mehrte sich noch Geschrei und Lachen.
    Als der Unglückliche sein Kettenhalsband nicht zerbrechen konnte, ward er wieder ruhig; nur dann und wann schwoll die Höhlung seiner Brust unter diesem Seufzer. Auf seinem Antlitz zeigte sich weder Scham noch Röte. Er stand der menschlichen Gesellschaft zu fern, um Scham zu kennen. Wird aber Schande bei solcher Entstellung empfunden? Zorn, Haß, Verzweiflung senkten auf dies scheußliche Antlitz eine immer düsterere Wolke, deren Elektrizität in tausend Blitzen aus dem Auge des Zyklopen sprühte. Die Wolke verflog auf einen Augenblick, als ein Priester auf einem Maultier vorüberritt. Quasimodos Antlitz ward sanfter, als er diesen von fern erblickte. Auf Wut folgte ein sonderbares Lächeln, voll Sanftmut und Zärtlichkeit. Je näher der Priester heranritt, ward das Lächeln deutlicher und strahlender. Es deutete auf einen Erretter, den der Unglückliche begrüßte. Als aber das Maultier nahe am Schandpfahl hielt, so daß der Reiter den Patienten erkennen konnte, schlug er die Augen nieder, kehrte um und spornte das Maultier in beiden Seiten, als wolle er sich von erniedrigenden Anreden befreien und kümmere sich wenig, ob ihn ein armer Teufel in solcher Stellung erkenne. Dieser Priester war der Archidiakonus Dom Claude Frollo.
    Die Wolke lagerte sich noch finsterer auf Quasimodos Stirn. Mit ihr mischte sich wohl noch ein Lächeln, aber ein bitteres, entmutigtes Lächeln der tiefsten Trauer. Die Zeit entschwand! Schon beinahe wieder eine Stunde stand er dort zerfleischt, mißhandelt, unaufhörlich verhöhnt und fast gesteinigt. Plötzlich regte er sich aufs neue unter seinen Ketten mit doppelter Verzweiflung, so daß das ganze Gerüst, das ihn hielt, erbebte; er brach das bisher von ihm standhaft beobachtete Schweigen und schrie mit heiserer Stimme, welche Hundegebell und kein menschlicher Laut zu sein schien, aber allen Lärm übertönte: „Wasser! Einen Trunk!“
    Dieser Notruf, weit davon entfernt, Mitleid zu erregen, erhöhte noch die Munterkeit des guten Pariser Pöbels, der die Stufen umringte, und der damals (wir müssen die Wahrheit berichten) ebenso grausam und viehisch dumm wie der furchtbare Stamm der Gauner war, in den wir unsere Leser schon einführten, und der gerade nur aus der niedrigsten Hefe des Volkes bestand. Keine Stimme erhob sich rings um den unglücklichen Dulder, als die des Spottes über seinen Durst. Gewiß war er auch in dem Augenblick weit scheußlicher und abstoßender als je; sein

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