Der Glucksbringer
dafür, dass ihr kleines Zimmer sauber und ordentlich aufgeräumt war. Trotz dieser Miseren und Tiefschläge brachte sie es nicht fertig, ihren Mann zu hassen. Im Gegenteil, noch lange nach seinem Tod sinnierte sie, dass sie beide benutzt worden waren: sie von ihrem Vater, der eine Eheschließung mit Liam als gesellschaftlich inakzeptabel abgelehnt hatte. Daniel, der Ärmste, ein antriebsloser Schwächling, von seinem eigenen Vater, der ihn überredet hatte, in den Adel einzuheiraten, um damit das Ansehen seiner Familie aufzupolieren.
Die ebenholzgeschnitzte Nachbildung einer Louis-XIV.-Uhr, die auf dem Sockel über dem Kamin stand, läutete siebenmal. Zeit für das Abendbrot. Corinne schnappte sich ihren Elfenbeinfächer, denn es war ein außergewöhnlich
warmer Abend, und schritt mit schwingenden Röcken die Stufen hinunter.
Die Wände des Esszimmers waren mit dunkelgrünen Damasttapeten bespannt, schwere viktorianische Stilmöbel verstärkten die steife, düstere Atmosphäre. Auf einem opulent geschnitzten Büfett standen diverse Silberplatten und eine Kristallschale mit frischen Früchten.
Marian saß bereits am Tisch, als Corinne den Raum betrat. Stanley, ganz der höfliche Gentleman, erhob sich und rückte seiner Schwägerin einen Stuhl zurecht.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, meine Liebe«, sagte er leicht gerührt und küsste Corinne auf die Wange.
»Und natürlich auch alles Liebe von mir«, setzte Marian strahlend hinzu. »Möchtest du deine Geschenke jetzt aufmachen oder lieber erst nach dem Dessert?«
Die Köchin trug eben auf einem großen Holztablett die Suppenterrine und tiefe Teller herein.
»Besser nach dem Essen«, murmelte Corinne. Und warf Marian einen vielsagenden Blick zu.
Stanley hatte das zweistöckige, komplett möblierte Haus mitsamt der Köchin, Martha Von Helmann, gemietet. Insgeheim waren sich alle einig, dass sie in Surry Hills das Sagen hatte. Sie führte den Haushalt mit militärischer Präzision, die sie zweifellos in ihrer preußischen Heimat erlernt hatte. Davon konnten die Neuankömmlinge schon nach einer Woche ein Lied singen. Frühstück, Mittagessen und Abendbrot wurden zu festen Zeiten serviert, und sie erwartete, dass man sich daran hielt. Montags und freitags war Waschtag, der Hausputz wurde an den anderen Tagen mit einer Aushilfe
erledigt, die Sonntagnachmittage und -abende hatte Mrs. Von Helmann laut Vertrag frei.
Für gewöhnlich drehte sich die Unterhaltung bei Tisch um die Tagesroutinen und konzentrierte sich in erster Linie auf die vielfältigen Aktivitäten des Hausherrn. Nachdem Stanley die Frauen hinlänglich informiert hatte, wechselte er unvermittelt das Thema.
»Ich hab gesehen, dass unser Nachbar... wie heißt er noch gleich?« Er warf Marian einen fragenden Blick zu.
»Bert Williams, mein Schatz.«
»Williams, ach ja, richtig. Er hat sich ein Automobil zugelegt.«
»Sie werden jedes Jahr populärer, das hab ich in einem Artikel in der Sun gelesen«, meinte Corinne. Und setzte gedehnt hinzu: »Also, ich fände es lustig, den Führerschein zu machen und so ein Vehikel zu steuern.«
»Das vergiss mal gleich wieder!« Stanley war geschockt. »Automobile werden Pferd und Wagen niemals ersetzen können. Wartet mal ab.«
Die Frauen blickten sich an, schmunzelten und enthielten sich eines Kommentars. Sie wussten sehr wohl, was Stanley O’Donnell von Autos hielt: Für ihn waren sie eine Marotte, eine vergängliche Modeerscheinung wie etliche andere vorher.
Mrs. Von Helmann nahte erneut und räumte die Dessertteller ab. »Tee, Kaffee? Was darf’s denn heute Abend sein?«, fragte sie zackig.
»Wir nehmen Tee, danke, Mrs. Von Helmann«, bestellte Marian. »Und jetzt zu deinen Geschenken.« Sie zwinkerte ihrer Schwägerin zu, unterdessen angelte sie zwei Päckchen von dem Stuhl, der neben ihrem stand.
Ein langes flaches und ein ganz kleines, rechteckiges. »Komm, mach das größere zuerst auf.«
Corinne schaute Marian mit großen Augen an. »Warum?«
»Weil ich es schon vor Monaten in Bombay für dich gekauft habe. Ich musste es gut verstecken, damit du es nicht findest.«
Corinne tat wie geheißen. Sie wickelte hastig das Geschenkpapier ab und öffnete die Schachtel. Ihr Blick fiel auf einen leuchtend bunten Seidenschal, dessen Enden mit hübschen Seidentroddeln umsäumt waren. »Er ist wunderschön«, sagte sie bewundernd. Ihre Hand umschloss Marians. »Tausend Dank.«
»Ich fand, dass er das ideale Accessoire für kühle Frühlingsabende
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