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Der Glucksbringer

Der Glucksbringer

Titel: Der Glucksbringer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilding Lynne
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Holzsplitter hatte sich in seinen Handballen gebohrt. »Verdammt, tut das weh!« Er ließ sie los, um den Splitter zu entfernen, doch der brach ab, und ein Teil blieb unter der Haut stecken.
    »Wir sollten ihn herausziehen, sonst entzündet sich die Stelle noch«, entschied Jenny. »Komm mit hoch. In meinem Zimmer hab ich einen Erste-Hilfe-Kasten mit Pinzetten und Antiseptikum.«
    »Wie soll das denn gehen, nachdem deine Vermieterin die Eingangstür abgeschlossen hat? Nachher merkt sie noch was«, warnte er.
    »Der Hintereingang ist zwar auch abgeschlossen, aber ich weiß, wo sie den Schlüssel versteckt.« Sie grinste verschwörerisch. »Komm schon, aber sei leise. Mr. Smithers im Erdgeschoss hat einen leichten Schlaf.«
    »Ich bin mucksmäuschenstill. Aber«, er fasste sie sanft am Arm, »müsst ihr euch nicht an bestimmte Regeln halten? Von wegen... ähm... kein Herrenbesuch auf dem Zimmer und so?«
    »Klar doch. Mrs. Owens würde einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sie wüsste, dass ich dich mit nach oben nehme. Aber«, sie warf ihm einen schiefen Seitenblick zu, »das hier ist ein medizinischer Notfall, oder etwa nicht?« Sie ließ unerwähnt, dass die meisten Mädchen, die wie sie dort zur Miete wohnten, bisweilen die Hausordnung übertraten. Peggy beispielsweise
schleuste ihren Bruce fortwährend heimlich ein.
    Der Schlüssel lag an seinem angestammten Platz über dem Türrahmen. Jenny schloss auf, schob geräuschlos die Tür auf und legte ihn wieder zurück. Sie winkte Mike ins Haus. Sie schlichen sich auf Zehenspitzen durch die Küche, den Flur und die Treppe hinauf. In ihrem Zimmer machte sie Licht und deutete auf den Tisch, der am Fenster stand. Dort knipste sie eine kleine Stehlampe an. »Ich hol eben das Erste-Hilfe-Set«, formten ihre Lippen ein gehauchtes Flüstern.
    Sie fand es himmlisch, dass er bei ihr war. Schon hatte sie wieder dieses wohlige Kribbeln in der Magengrube. Da schwante es ihr: Sie hatte sich in ihn verliebt. Deshalb dachte sie ständig an ihn, sehnte sich nach seiner Nähe. Am liebsten wäre sie für immer mit ihm zusammengeblieben. Sie kannten sich zwar erst kurz, trotzdem zweifelte sie keine Sekunde lang an der Echtheit ihrer Gefühle. Bei ihren Eltern war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, und diese Liebe hatte bis in den Tod gewährt.
    Jenny war sich fast körperlich bewusst, dass er sie mit Blicken verfolgte, während sie über das Linoleum und den billigen Teppich glitt, der das halbe Zimmer einnahm und ihre Schritte dämpfte. Behutsam öffnete sie die Tür der Schrankwand, in der ihre Kleidung und ihre übrigen Habseligkeiten verstaut waren. Die Zigarrenkiste lag im zweiten Schubfach. Sie nahm sie heraus, lief auf Zehenspitzen zum Tisch zurück und setzte sich ihm gegenüber. Sie öffnete das Holzkästchen und wühlte darin herum.
    »Gib mir deine Hand, Mike.« Er gehorchte. »Da hast du dir aber einen ordentlichen Splitter eingefangen«,
meinte sie skeptisch. »Beiß die Zähne zusammen. Es kann ein bisschen wehtun.«
    Nachdem sie den Splitter herausgezogen und die Wunde versorgt hatte, sagte sie: »Möchtest du noch eine Tasse Tee, bevor du gehst? Allerdings ohne Milch – die ist mir leider ausgegangen.«
    »Kein Problem. Ich trink ihn auch so.« Sein Blick schweifte von Neuem durch den Raum. Registrierte den wuchtigen Schrank aus Walnussholz mit den diversen Schubfächern, das schmale Bett mit der bunt geblümten Tagesdecke, ihren gemütlichen Schaukelstuhl und das Tischchen, auf dem eine Nähmaschine mit einem begonnenen Kleidungsstück stand. »Hast du das Zimmer möbliert gemietet?«, wollte er wissen.
    »Nein, ich hab die Möbel aus Redfern mitgebracht. Dad schickte mir regelmäßig einen Scheck für die Miete. Nach seinem Tod musste ich umziehen und das Meiste verkaufen. Der Rest steht hier.«
    »Ich finde, du hast es sehr gemütlich.«
    »Danke.« Sie strahlte vor Freude, dass er sich bei ihr wohlfühlte. »Wenn ich frei habe, bin ich oft hier. Oder ich gehe am Kai spazieren, wo ich die Schiffe beobachte, die im Hafen anlegen oder auslaufen.« Sie deutete auf einen ausgebeulten Seesack, der neben dem Schaukelstuhl stand. »Der ganze Sack ist voller Stricksocken. Für die Armee. Und da drin«, sie tippte auf eine große Holzkiste, »sind Verbandsrollen für das Rote Kreuz. Damit beschäftige ich mich in meiner Freizeit.«
    »Wenn bloß alle Leute so engagiert wären wie du...« Er unterbrach sich und warf einen Blick auf seine Taschenuhr. »Schon fast zwölf.

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