Der Glucksbringer
Ehrensache.«
»Hör mal, findest du das nicht auch merkwürdig? Abends geht es mir blendend, dann kann ich alles essen, und morgens fühle ich mich sterbenselend. Ich glaube, morgen gehe ich mal zum Arzt.«
Peggy wirbelte herum und betrachtete sie eine lange Weile stumm, ehe sie sich wieder der Suppe zuwendete. »Mach mal das Radio an, Liebes. Gleich kommen die Nachrichten.«
Jenny fand den Sender 2UE, wo sie gerade noch das Ende der Nachrichten mitbekamen. »Die Alliierten rücken vor, und die deutschen Einheiten ziehen sich an die deutsche Grenze zurück, nach Belgien und in die südlichen Niederlande, von wo aus sie weitere Offensiven planen. Damit hoffen sie, das entschlossene Vorrücken der alliierten Streitkräfte zu vereiteln und sie bis zum Winter zu zermürben.«
Der Krieg. Obwohl die Kampfhandlungen Tausende von Meilen entfernt stattfanden, dominierte er ihr Leben. Alle hofften auf ein baldiges Ende, die Meisten hatten in seinem Verlauf bereits Angehörige und Freunde auf dem Schlachtfeld verloren. Trotzdem empfanden die Menschen eine morbide Faszination, wenn sie von den durchschlagenden Erfolgen der Alliierten in Europa hörten oder im Südpazifik, wo sie Neuguinea von den
Japanern zurückeroberten, nachdem diese eine Insel nach der anderen besetzt hatten.
Mike war inzwischen fast ein Vierteljahr fort, und Jenny hatte gerade einmal drei Briefe von ihm bekommen, in denen er wenig erzählte über seine Flugmissionen, wo er stationiert war und was er gerade machte. Er betonte nur immer wieder, dass er sie wahnsinnig vermisste. Sie kannte diese zärtlich süßen Zeilen auswendig, schlief mit den Briefen unter ihrem Kopfkissen. So verrückt es klingen mochte, aber sie wähnte sich ihm dann näher. Sie betrachtete sein Foto auf dem schmalen Nachttisch. Er hatte es ihr von zu Hause mitgebracht, zur Erinnerung, damit sie ihn nicht vergaß. Unvermittelt blinzelte sie die Tränen zurück. Das war die andere Sonderbarkeit. Seit Kurzem hatte sie unglaublich nah am Wasser gebaut und heulte bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Als der Snack fertig war, stellte Peggy zwei Schalen mit dampfend heißer Suppe auf ein Tablett, legte den ungebutterten Toast daneben und brachte es an den Tisch am Fenster. »Komm, lass uns essen, solange es schön heiß ist.«
Während sie die Suppe löffelten, sagte sie beiläufig: »Seit wann hast du das mit der Übelkeit? Ich meine, wie lange geht das schon so?«
»Seit ungefähr einem Monat, allerdings hat es sich in den letzten Tagen verschlimmert«, räumte Jenny ein. »Morgens bring ich keinen Bissen runter, und ich bin immer sooo müde und schlapp.«
Peggy, die vier Jahre älter war als Jenny, japste nach Luft. Und wiegte skeptisch den Kopf. »Du gehst morgen wirklich besser zum Arzt, Kleines – aber nicht, weil du dir an irgendwas den Magen verdorben hast. Ich
möchte wetten, du bist...«, sie stockte und setzte lakonisch hinzu, »... schwanger.«
9
S chwanger? Du machst wohl Witze, Peggy«, konterte Jenny mit schreckgeweiteten Augen. »Ich bin bestimmt nicht schwanger.« Sie überlegte kurz, wie oft sie mit Mike geschlafen hatte. Und wenn es doch passiert war? »Ich bin bestimmt nicht schwanger«, wiederholte sie, dieses Mal jedoch mit weniger Nachdruck.
»Habt ihr verhütet?« Peggy beobachtete, wie Jenny den Kopf schüttelte. »Spannen deine Brustwarzen, sind sie größer als sonst?«
»Ja«, meinte Jenny verblüfft. »Sie sind total empfindlich. Woher weißt du das?«
»Von meinen beiden älteren Schwestern. Sie sind verheiratet und haben Kinder. Ich hab gehört, wie sie über die Symptome sprachen«, antwortete Peggy. »Die meisten Frauen leiden in den ersten Schwangerschaftsmonaten unter morgendlicher Übelkeit und unter einem schmerzhaften Spannungsgefühl in den Brüsten. Wann hattest du deine letzte Periode?«
»Ich bin gut einen Monat überfällig.« Jenny starrte ihre Freundin erschrocken an. »Grundgütiger. Was mach ich bloß, wenn ich wirklich schwanger bin?« Ein uneheliches Kind war ein Stigma, das Frauen leider gesellschaftlich ächtete. Ledige Mütter wurden geschnitten und als »Schlampe«, »Flittchen«, »Nutte« beschimpft. Und das Allerschlimmste war, dass sie keine
Ahnung hatte, wie sie für sich und das Baby sorgen sollte.
»In Panik zu verfallen bringt uns kein Stück weiter. Du gehst morgen erst einmal zum Arzt und lässt einen Schwangerschaftstest machen. Wenn er positiv ausfällt«, Peggy trommelte mit den Fingerspitzen auf die
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