Der Glucksbringer
Flugzeugrumpf trafen.
Der Bombardier öffnete die Bombenklappen, überprüfte ein letztes Mal die Zielkoordinaten und drückte einen Knopf. »Bomben gezündet, Captain.«
Da der Abwurf das Gewicht der Lancaster erheblich reduzierte, hatte der Pilot Mühe, die Kontrolle über die Maschine zu behalten. Er zog die Nase in einem Fünfundvierziggradwinkel hoch, um das Flugzeug abzufangen, bis sich die Geschwindigkeit wieder stabilisiert hatte. Flakfeuer explodierte ringsum, durch das Cockpitfenster registrierte die Mannschaft, dass zwei andere Flugzeuge Treffer abbekommen hatten. Die Triebwerke malten einen glühenden Feuerschweif an den dunklen Nachthimmel, bevor die Militärmaschinen am Boden zerschellten.
»Wir sind getroffen worden, Captain! Hart an Steuerbord!«, brüllte der Bombardier.
Mike sah und hörte, wie das Triebwerk explodierte. Feuersalven spuckte, da der Wind ein Übriges tat, um das Kerosin in Brand zu setzen. Unter ihm, am Boden, ein flammendes Inferno, grausig schön; Mike durfte nicht an die Menschen denken, die dort unten lebten: unschuldige, brave Menschen, deren Existenz mit einem Schlag vernichtet wurde. Der Krieg war ganz ohne Zweifel die Hölle, für beide Seiten.
Der Copilot schaltete das beschädigte Triebwerk aus. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie mit drei Triebwerken heimflogen. Der Captain drehte nach links und nahm Kurs nach Osten, Richtung Sonnenaufgang.
Mike strich über seine ausgebeulte Uniformjacke, als könnte Jennys Brief ihn moralisch aufbauen. Heute Nacht war es verdammt brenzlig geworden, es fehlte nicht viel, und sie hätten die Radieschen von unten gesehen. Seine Knie waren weich wie Wackelpudding, er sehnte sich danach, wieder festen Boden unter den Fliegerstiefeln zu spüren. Nach dem Desaster brauchte er erst einmal ein Bier. Eine halbe Stunde später zeigte der
Flugnavigator an, dass sie in ungefähr fünf Minuten den deutschen Luftraum verlassen würden.
»Captain, wir verlieren Treibstoff«, bemerkte der Copilot skeptisch. »Wir haben nicht mehr genug, um zur Basis zurückzufliegen. Wir können froh sein, wenn wir es über die französische Grenze schaffen.«
Als der Copilot meldete, dass eines der hinteren Triebwerke Aussetzer habe, stellte Mike bestürzt fest, dass der Propeller langsamer wurde und stoppte. Der Captain senkte die Flughöhe um weitere tausend Fuß. Die Crew merkte, dass er damit kämpfte, die Maschine in der Luft zu halten, obwohl sie ihren Ballast bereits abgeworfen hatten. Ganz ohne Zweifel funktionierte die Treibstoffzufuhr zu den beiden intakten Triebwerken nicht mehr reibungslos.
»Scheiße, wir schmieren ab«, brüllte Pete. »Los, Leute, macht euch fertig zum Absprung. Mike, funk schleunigst einen Notruf raus. Chris, gib ihm die Koordinaten.«
Mike übermittelte die Koordinaten, bevor er sich in den hinteren Teil der Maschine begab. Dabei fiel ihm siedendheiß ein, dass er, was diese Mission anging, von Anfang an ein mulmiges Gefühl gehabt hatte. Er hatte seine Bedenken Rex anvertraut und ihn gebeten, Jenny zu benachrichtigen, falls ihm irgendetwas zustoßen sollte. Und jetzt schien sich seine dunkle Ahnung zu bewahrheiten. Sein Kollege hatte natürlich versucht, ihm die Bedenken zu nehmen. Er hatte über seine Befindlichkeiten gelacht, ihm für den Ernstfall jedoch hoch und heilig versprochen, Jenny zu informieren. Gleichzeitig hatte er seinen Kameraden scherzhaft gewarnt, dass er ihm die Kleine ausspannen würde.
Mike stand an der geöffneten Luke und starrte in die
von zuckenden Feuerblitzen durchtrennte Schwärze, sein Gesicht betäubt von dem eisigen Wind, der ihm entgegenschlug. Er überprüfte ein letztes Mal den Mechanismus seines Fallschirms und den Sitz der Waffe, die an seinem Gürtel im Holster steckte. In etwa einer Stunde würde die Sonne aufgehen. Inzwischen hatten sie den deutschen Luftraum verlassen, und mit etwas Glück würde er auf Alliierten-Territorium landen.
Jemand tippte ihm auf die Schulter, rief ihm zu, er solle springen. Mit rasendem Herzklopfen setzte Mike im freien Fall ins Ungewisse.
Jenny saß an dem Tischchen vor ihrem Zimmerfenster und betrachtete den Umschlag mit dem englischen Poststempel. Der Brief war nicht von Mike, sondern von seinem Kameraden Rex Allsop, der ihr schrieb, dass ihr Verlobter nach Gefechtshandlungen seit mehr als zwei Wochen verschollen war. Mit leerem Blick starrte sie durch die Glasscheibe auf die Straße und schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf. Sie
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