Der Glucksbringer
zum geschäftlichen Teil. »Ich denke, ich kann Ihnen neun Pfund und zehn Schillinge dafür geben. Wie klingt das, Mrs. Brown?«
»Ist das alles, was Sie mir anbieten können, Mr. Stefanos?«, versetzte Jenny niedergeschlagen.
»Ja, meine Liebe.« Er lächelte freundlich-servil. »Wissen Sie, wenn ich Ihnen mehr gebe, wird es für Sie umso teurer, die Brosche wieder auszulösen.«
»Stimmt.« Deprimiert akzeptierte sie das Angebot des älteren Mannes. Letztlich meinte er es ja nur gut, sagte sie sich, damit es ihr nachher leichter fiele, das Schmuckstück zurückzukaufen.
»Also gut.« Sie beobachtete, wie er das Geld abzählte und ihr über den Tresen zuschob. Woraufhin sie es in ihre Börse steckte, die sie in die Jackentasche schob.
»Ich darf Sie noch einmal auf unsere allgemeinen Geschäftsbedingungen hinweisen, Mrs. Brown. Wenn Sie die Brosche nicht innerhalb eines Monats auslösen oder wenigstens eine Anzahlung leisten, sind wir ermächtigt, das Pfand zum Verkauf anzubieten.«
»Seien Sie versichert, Mr. Stefanos, das wird bestimmt nicht passieren. Dafür hänge ich viel zu sehr an dem guten Stück.«
Draußen spähte Jenny suchend die Kendal Street hoch, atmete tief durch und steuerte die nächstgelegene Apotheke
an, wo sie die Medizin für ihren kleinen Sohn kaufte.
Mike Westaway und ein paar andere Farmarbeiter saßen auf einem gefällten Baumstamm und rauchten eine Nachmittagszigarette. Mike, inzwischen ein guter Beobachter und Menschenkenner, hatte keinerlei Berührungsängste mit Leuten unterschiedlichster sozialer Prägung. Er mochte die hemdsärmligen Typen, die mit ihm gemeinsam auf dem staatlichen Versuchsgut arbeiteten, wo effizientere landwirtschaftliche Anbaumethoden und neue Züchtungen entwickelt wurden. Er hatte sich auf eine Anzeige hin beworben, in der ungelernte Arbeitskräfte gesucht wurden, weil er endlich auf andere Gedanken kommen wollte, nachdem die Suche nach Jenny im Sande verlaufen war.
Seine Kollegen hatten eine bewegte Vorgeschichte: Wie Mario, der Italiener, zum Beispiel. Nach Kriegsende war er aus dem Gefangenenlager bei Cowra entlassen worden, wo 1944 ein Massenausbruch stattgefunden hatte. Er hatte schwer geschuftet und jeden Cent gespart, um seine Frau und sein Kind nach Australien zu holen. Manche Männer, so wie Iwan aus Serbien, ließen ihre Vergangenheit lieber im Dunkeln. Das war völlig okay für Mike; er redete auch nicht gern darüber, weshalb er auf der Versuchsfarm malochte.
Was sollte er ihnen erzählen? Dass er schleunigst aus Sydney weg wollte, nachdem er versagt und Jenny nicht gefunden hatte? Dass er sie zu vergessen suchte, damit er sein Leben endlich wieder auf die Reihe bekam? Erst mal können vor Lachen! Sie verfolgte ihn in seinen Träumen und tagsüber, wenn er sich das Hirn zermarterte, wo sie stecken mochte. Wie es ihr wohl ging? Ob sie
sich in einen anderen verliebt hatte? Der Gedanke arbeitete wie ein Messer in seinen Eingeweiden.
Nach mehr als einem Jahr hatte er die Suche schweren Herzens eingestellt. In der Zwischenzeit hatte er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, auf dem Flughafen von Mascot, in den Docks, in den Lagerhallen – kurz und gut: überall, wo er Arbeit fand. Im Hinterkopf die ständig wiederkehrende Frage: Warum? Warum war sie fortgegangen? Immerhin waren sie verlobt. Hatte er sich dermaßen in ihr getäuscht? Was hatte sie dazu bewogen, ohne ein Wort zu verschwinden?
Sein Blick schweifte über den Bewässerungsgraben, den sie gerade anlegten. Während er in die strahlende Nachmittagssonne blinzelte, verzogen sich seine Mundwinkel zu einem verstohlenen Grinsen. Merkwürdig, aber die Arbeit machte ihm Spaß, füllte ihn aus. Früher hätte er darüber gelacht, aber es stimmte. Das Leben auf der Farm und der freundliche kleine Ort, wo jeder jeden grüßte, hoben sich angenehm von der Hektik ab, wie sie seit Kriegsende in Sydney herrschte. Natürlich vermisste er seine Familie. Einmal im Monat fuhr er daher übers Wochenende nach Hause, um sich richtiggehend verwöhnen zu lassen.
Er versuchte zu verdrängen, dass er sich treiben ließ und sich wenig Gedanken um seine Zukunft machte. Dass es so nicht ewig weitergehen konnte. Irgendwann würde er Nägel mit Köpfen machen, sich eine gesicherte Existenz aufbauen müssen, ob mit oder ohne Jenny. Er blickte grübelnd auf die frisch aufgeworfenen Erdhügel. Mist, unversehens spukte ihm die geliebte Frau wieder im Kopf herum.
»Hey, Mike, fährst du heute Abend in
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