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Der Glucksbringer

Der Glucksbringer

Titel: Der Glucksbringer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilding Lynne
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natürlich auch. Die erzählte mir, dass sie einen Tag vor dem Auszug bei ihr war, um die Miete zu bezahlen. Tags darauf sah sie dann, wie sie sich mit zwei vollgepackten Koffern abmühte. Liam ist sogar zu ihrem früheren Domizil in Redfern gefahren. Hätte ja sein können, dass sie vielleicht wieder dorthin gezogen ist, weil sie sich dort auskennt.«
    »Wenn ich bloß mehr über sie wüsste, ob und wo sie Verwandte hat und so. Mensch, hätte ich sie doch mehr ausgequetscht! Aber wir kannten uns erst kurz, gerade mal eine Woche.« Mike fuhr sich ratlos mit den Fingern durch die lockigen Haare. Plötzlich kam ihm die Erleuchtung.
»Les ist bei der Polizei«, rief er. »Vielleicht kann der mir helfen.« Les Gordon war der Mann seiner Schwester Claire und Polizist in New South Wales.
    »Les hat deinen Vater aktiv bei der Suche unterstützt. Leider verliefen seine Ermittlungen ergebnislos«, bekannte Corinne matt.
    »Wir werfen die Flinte nicht ins Korn, mein Junge. Ganz egal, was kommt.« Liam besaß ein sensibles Gespür für den Seelenkummer seines Sohnes. Trotz seiner kreativen Höhenflüge als Goldschmied war er ein praktisch veranlagter Mensch, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden verwurzelt war. Er wusste sehr wohl, dass sein Sohn vor einer schwierigen Aufgabe stand. Jenny Smith konnte überallhin gezogen sein: in einen anderen Stadtteil von Sydney, irgendwo aufs Land oder sonst wohin. Vermutlich wäre es einfacher gewesen, die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden als den neuen Wohnort von Mikes Verlobter.
    Der Grund ihres sang- und klanglosen Verschwindens war allen ein Rätsel. Es sei denn, zermürbte Liam sich das Hirn, sie hätte irgendeine schlimme Krankheit oder Existenzprobleme und wollte damit niemandem zur Last fallen. Er blickte zu seinem Sohn, der brütend aus dem Fenster starrte, das auf den Centennial Park hinausging. Die Vorstellung auf ein Wiedersehen und eine gemeinsame Zukunft mit Jenny hatte ihn in Kriegsgefangenschaft gewiss moralisch aufgebaut. Deshalb mochte sein Vater ihn nicht noch mehr frustieren, indem er ihm seine heiklen Bedenken mitteilte. Vielleicht irrte er sich ja auch gewaltig. Wie er seinen Sohn kannte, würde Mike ohnehin nicht ruhen, bis er sie wieder in seinen Armen hielt.
    Als Corinne das Zimmer verließ, weil sie sich um
das Abendessen kümmern wollte, setzte Liam sich in den Schaukelstuhl, der vor dem Kamin stand. »Hast du schon mal darüber nachgedacht, was du jetzt machen willst? Gehst du wieder an die Uni?«
    »Im Lager hab ich ernsthaft daran gedacht – um mir und Jenny eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Ich wollte mein Diplom machen und bei einer der renommierten Baufirmen anfangen. Aber jetzt hab ich ehrlich gesagt keine Lust mehr auf ein jahrelanges Studium.« Er blickte zu seinem Vater und machte ein gequältes Gesicht. »Ich bin mir da sehr... hm... tja... unschlüssig. Verdammt, ich muss sie unbedingt wiederfinden, Dad. Um mir ein bisschen Geld zu verdienen, nehm ich irgendeinen Gelegenheitsjob an, ganz egal was, erst wenn ich sie finde, kann ich ernsthaft über die Zukunft nachdenken.«

10
    Juni 1946
     
    J enny verabschiedete sich von Dr. Reynolds und sah ihm nach, wie er in seinen staubigen Wagen stieg und wegfuhr. Sie schloss die Haustür und lief in die Küche, wo ihre Tante den kleinen Adam betreute. Er hatte hohes Fieber und einen grässlich rasselnden Husten – akute Bronchitis, hatte Dr. Reynolds diagnostiziert, mit Verdacht auf Lungenentzündung. Falls Adams Zustand sich weiter verschlimmerte, sollte er umgehend zur Beobachtung ins Krankenhaus nach Cowra gebracht werden.

    Jenny betrachtete ihren Sohn mit zärtlicher Hingabe. Er machte kein bisschen den Eindruck eines kränklichen Kindes, war wohlgenährt, hatte dichtes hellbraunes Haar und aufgeweckte blaue Augen. Gleichwohl war er seit seiner Geburt anfällig für Atemwegserkrankungen, musste deshalb viele Tage lang das Bett hüten und quengelte verständlicherweise viel. Das Medikament, das er einnehmen musste, war nicht ganz billig, und er brauchte es regelmäßig. Dr. Reynolds hatte ihr zwar erklärt, dass sich die schwachen Bronchien, wenn er größer und älter wäre, von selbst auswachsen würden, aber das war Zukunftsmusik, was seiner Mutter jetzt nicht viel nützte.
    Jenny glitt in das Schlafzimmer, das sie mit Adam teilte, und setzte sich auf den Rand ihres Bettes. Gedankenvoll spähte sie zu seiner Wiege, die unter einem der Erkerfenster stand. Sie nahm die kleine

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