Der Glucksbringer
Holzschachtel von der altmodischen Frisierkommode und öffnete sie. Die Topasbrosche funkelte ihr entgegen. Sie legte sie auf ihre Handfläche, streichelte sie behutsam mit den Fingerspitzen. Augenblicklich stürmten die Erinnerungen auf sie ein, und ihre Augen wurden verräterisch feucht: An dem Abend, als sie die Anstecknadel im Rinnstein fand, hatte sie Mike kennen gelernt und sich in ihn verliebt. Kurz darauf hatten sie sich verlobt. Sie hatte die Brosche für ihren persönlichen Glücksbringer gehalten, bis sie erfuhr, dass sie schwanger war und Mike vermisst wurde beziehungsweise später in Kriegsgefangenschaft geraten war. Von da an hatte sie emotional die Hölle durchgemacht.
Sie wälzte sich nachts schlaflos in ihrem Bett, zumal sie immer noch nicht wusste, ob er das Grauen des Krieges überlebt hatte. Und weil sie fortwährend an
ihn denken musste. Wie mochte es ihm gehen? Hatte er die Gefangenschaft halbwegs unbeschadet überstanden? War er inzwischen heimgekehrt? Die Vorstellung, dass er sich neu verliebte und eine andere heiratete, rieb sie innerlich auf. Ihre Kehle verengte sich schmerzhaft, und sie schluckte schwer. Oder war er tot und lag irgendwo in der blutgetränkten Erde eines fernen Kontinents begraben?, dachte sie, getrieben von dumpfer Verzweiflung. Sie atmete tief durch. Wenigstens ein Teil von ihm lebte in ihrem gemeinsamen Sohn weiter. Adam war Mike wie aus dem Gesicht geschnitten: Selbst die Augenfarbe hatte er von seinem Vater geerbt. Sie stand seufzend auf, wickelte den Topas in ein sauberes Taschentuch und ließ ihn in die Tasche ihrer Strickjacke gleiten. Dann kehrte sie in die Küche zurück.
»Tante Elsie, meinst du, du kommst eine Weile allein mit Adam zurecht? Ich wollte kurz mit dem Pick-up nach Cowra fahren und das Medikament für ihn abholen.«
»Aber sicher, Liebes. Im Moment ist er ganz friedlich. Bestimmt nickt er gleich wieder ein. Los, ab mit dir.« Elsie schob sie scherzhaft in Richtung Tür.
Jenny stand vor dem Pfandhaus in Cowra und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Sie tat so, als betrachtete sie die Auslagen im Schaufenster, die zum Verkauf angeboten wurden: gebrauchte Musikinstrumente, Glas, Porzellan, Schmuck, Aufstellsachen und anderen Nippes. Ihr grauste davor, die Brosche zu verpfänden, mit der sie so viele Erinnerungen verbanden, gute wie schlechte. Was sein muss, muss sein, redete sie sich zu und seufzte. Momentan war sie verflixt knapp bei Kasse,
weil es mit der Schneiderei nicht besonders gut lief. Wer konnte sich so kurz nach dem Krieg schon neue Kleider leisten? Ihre Tante oder ihren Onkel mochte sie nicht um Geld bitten, da den beiden das Wasser bis zum Hals stand und sie jeden Cent dreimal umdrehen mussten. Wie viele Farmer warteten auch sie händeringend auf die Schafscherer, die im Frühjahr die Schafe scherten.
Joe Stefanos blickte von seiner Zeitungslektüre auf, als die Glocke über dem Eingang bimmelte. »Aahh, Mrs. Brown, guten Morgen. Schön, Sie mal wieder zu sehen«, sagte er, sein Englisch von einem starken griechischen Akzent gefärbt. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Mr. Stefanos.«
»Aber sicher, aber sicher«, meinte er freundlich und lächelte. Er mochte Jenny gern. »Zeigen Sie mal her.«
Sie fischte das Taschentuch aus der Jacke, legte es auf die Theke und wickelte die Brosche aus. »Dieses Schmuckstück bedeutet mir sehr viel, müssen Sie wissen. Ich verbinde damit viele, viele Erinnerungen«, bemerkte sie.
»Verständlich, verständlich.« Joe hatte die nervige Angewohnheit, sich zu wiederholen. Er nahm die Brosche und hielt sie ins Licht. »Ein sehr schönes Stück. Schon ziemlich alt, würde ich sagen. Jahrhundertwende. Ein bezaubernder Topas, makellos geschliffen, und die silberne Fassung ist außergewöhnlich. Wer die gemacht hat, war ein wahrer Künstler.«
Jenny lauschte geduldig, derweil Joe Stefanos in den höchsten Tönen von der Schönheit der Brosche schwärmte. Nach außen hin gefasst, hämmerte ihr Herz wild gegen ihre Rippen. Ob er heute nochmal fertig wurde mit seiner Begutachtung? Ärgerlich genug, dass
sie die Nadel als Sicherheit für ein paar Kröten hinterlegen musste, aber sie hatte nun mal nichts Wertvolles mehr. Mikes Verlobungsring hatte sie kurz nach Adams Geburt verpfänden müssen, und jetzt brauchte sie Geld für Medikamente, damit der Kleine wieder hundertprozentig fit wurde.
»Tja«, meinte der griechische Pfandleiher gedehnt und kam damit endlich
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