Der Glucksbringer
durch die Hintertür auf die Veranda gelaufen und ruderte hektisch mit den Armen.
»Jen, Schätzchen! Es kam eben im Radio: Die Russen und die Alliierten sind nach Deutschland vorgestoßen. Hitler steckt massiv in Schwierigkeiten, Liebes.«
Jennys Stimmung hellte sich schlagartig auf, und sie lächelte befreit.
Ihr Blick erfasste den klaren blauen Himmel über Carcoar, die sanften Anhöhen und das satte Gras, das sich in den heißen, trockenen Sommermonaten struppig gelb färbte. Ihre Tante und ihr Onkel hatten ausnehmend sensibel und verständnisvoll auf ihre Situation reagiert und darauf bestanden, dass sie zu ihnen zog. Und Jenny, die eigentlich ein Stadtmensch war, hatte das Leben auf der mittelgroßen Schaffarm kennen und schätzen gelernt. Obwohl es natürlich völlig anders war als in einer Großstadt wie Sydney. Nachdem sie ihren Sohn in Singapur durch einen tödlichen Unfall verloren hatten, schienen die beiden älteren Leutchen froh, dass es nicht mehr so einsam bei ihnen war. Gemeinsam mit ihrer Nichte, die sie wie eine Tochter in ihr Herz geschlossen hatten, freuten sie sich auf die Geburt des Babys.
Jenny hatte Sydney an einem tristen Montagmorgen verlassen. Um genau zu sein: Sie hatte sich heimlich davongemacht, nachdem Peggy zur Arbeit gegangen war. Und empfand Schuldgefühle, weil sie ihrer Freundin die neue Adresse verschwiegen hatte. Sie hatte ihr lediglich einen kleinen Zettel dagelassen, auf dem sie sich für ihre Freundschaft bedankte und dass sie Peggy nie vergessen würde. Sie hatte gute Gründe dafür gehabt, ihre Freundin nicht in ihre Pläne eingeweiht zu haben. Es war zwar unwahrscheinlich, aber wenn die Westaways zufällig doch nach ihr gefragt hätten, hätte Peggy ihnen bestimmt brühwarm erzählt, wo sie war und dass sie
ein Baby erwartete. Das wollte Jenny unter allen Umständen vermeiden. Auch wenn es ihr schwerfiel, aber das Kapitel Mike gehörte endgültig der Vergangenheit an. Sie würde die Erinnerung in ihrem Herzen einschließen – es war das Beste für sie und ihr Kind.
Ob die Entscheidung nun richtig war oder vielleicht auch aus falsch verstandenem Stolz heraus getroffen, kümmerte sie nicht weiter. Sie war fest entschlossen, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und mit dem Baby einen Neuanfang zu starten. Und sie war zuversichtlich: Ihre Tante und ihr Onkel würden ihr bestimmt den nötigen Rückhalt geben, dass sie sich in Carcoar gut einlebte. Sie könnte sich auf der Farm nützlich machen, wo ihr Kind geliebt und behütet aufwachsen würde.
Junior, ihr Kosename für das Baby, versetzte ihr einen kräftigen Tritt in den Unterleib, worauf sie sich stöhnend zusammenkrümmte. Der kleine Racker war heute Morgen ganz schön aktiv und wurde zunehmend lebhafter. Im nächsten Augenblick fühlte sie etwas klebrig Warmes, das an ihren Beinen hinunterlief. O Schreck, ihre Fruchtblase war geplatzt! Sie klemmte ihren Rock zwischen die Schenkel und ging im Schneckentempo zur hinteren Veranda. »Tante Elsie! Ich glaube, das Baby kommt!«
»Was meinst du mit ›Jenny ist unauffindbar‹, Dad?« Während der Kriegsgefangenschaft hatte Mike seinen Eltern geschrieben und ihnen Jennys Adresse mitgeteilt. Soeben erfuhr er, dass die Anschrift nicht mehr stimmte und niemand Genaueres über ihren Verbleib wusste. »Eine Frau kann doch nicht einfach so verschwinden«, setzte er hinzu.
Nach seiner Entlassung aus der Armee wieder in Zivilkleidung, stampfte Mike missmutig stirnrunzelnd über den weichen Teppich, der im Wohnzimmer seiner Eltern lag. Aufgrund einer Hüftverletzung hinkte er leicht. Es war ein Streifschuss gewesen; die Deutschen hatten ihn abgeschossen und nach seiner Fallschirmlandung gefangen genommen. Vier Monate nach Kriegsende war er nach Australien zurückgekehrt, wo er sich auf das Wiedersehen mit einer strahlend verliebten Jenny gefreut hatte. Und was war? Es haute ihn geradezu aus den Schuhen, dass die Frau, die er liebte und heiraten wollte, spurlos verschwunden war, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Nein, es durfte und konnte nicht sein. Grundgütiger, er würde sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um sie aufzuspüren.
»Ist mir schleierhaft«, murmelte er kopfschüttelnd.
»Uns auch. Wir haben alles Menschenmögliche versucht, mein Junge, aber leider vergeblich«, versicherte ihm Corinne. »Ich hab mich bei David Jones in der Personalabteilung nach ihrem Verbleib erkundigt, ich hab ihre Freundin Peggy gelöchert und ihre Vermieterin
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