Der Glucksbringer
Reiz des Unbekannten.
Es lag lediglich an der knisternden Erotik zwischen ihnen, versuchte sie sich einzureden. Immerhin war er ein ausnehmend attraktiver Mann, und sie waren seit fast vier Tagen ununterbrochen zusammen. Gleichwohl vermochte sie diese Begründung nicht zu überzeugen.
Nein, es war mehr als eine sexuelle Obsession. Plötzlich stockte ihr der Atem, ihre Hände begannen unkontrolliert zu zittern. O Schreck, weitaus mehr. Wie paralysiert fixierte sie seinen über den Stadtplan geneigten Schopf. Großer Gott, so etwas Verrücktes war ihr noch nie passiert: Sie hatte sich in Tony Vincente verliebt.
Das Blöde daran war, dass er ihre Beziehung abgehakt hatte und in ihr bloß eine gute Freundin sah. Vermutlich war es lediglich ausgleichende Gerechtigkeit, weil sie ihm vor Monaten den Laufpass gegeben hatte. Jetzt spürte sie nämlich hautnah, wie es war, wenn Gefühle und Befindlichkeiten verletzt wurden. Dass ausgerechnet ihr so etwas passieren musste! Sie hatte es bestimmt nicht darauf angelegt. Der Topas kam ihr in den Sinn. Konnte er...? Nein. Definitiv nicht, Punkt. Sie weigerte sich ganz entschieden, diesen Gedanken weiterzuspinnen.
»Komm, wir müssen uns beeilen, sonst haben wir nicht mehr viel von dem Museum«, meinte Tony. Er faltete den Stadtplan zusammen und stand auf. »Du hast deinen Kaffee noch nicht ausgetrunken.«
»Nöö, er ist kalt. Ich mag Kaffee nicht, wenn er kalt geworden ist.«
Er fasste ihre Hand. »Nicht weit von hier ist eine Haltestelle. Dort steigen wir in den Bus, der zum Louvre fährt.«
Ein warmes Prickeln strömte von ihrer Hand in die Armbeuge. Es war eine völlig neue Erfahrung! Wie so vieles andere, was sie mit ihm zum ersten Mal erlebte. Linda fiel es wie Schuppen von den Augen. Aber sie durfte nicht ihren Illusionen nachhängen, sondern musste sich beeilen, um mit seinem Tempo Schritt zu halten.
15
T ags zuvor war Linda von einem der Unternehmer angerufen worden, die ihr anlässlich des Festakts ihre Visitenkarten überreicht hatten. Signor Enzo Bernasconi aus Siena bot ihr eine Anstellung in seiner Firma an. Sie waren um zehn Uhr im Hotelfoyer verabredet, um über sein Jobangebot zu verhandeln. Nachher wollte Linda sich mit Tony treffen und den Tag mit ihm verbringen.
Sie und Signor Bernasconi fanden einen ruhigen Tisch in der Lounge, etwas abseits von der Bar, wo sie ungestört reden konnten.
Der Signor war ein schlanker, gepflegter Geschäftsmann, der sie mit italienischem Charme und höflichen Komplimenten zu umgarnen versuchte. »Signorina, Sie schweben sicher noch auf Wolke sieben nach Ihrem Erfolg. Ihr Design wie auch das Konzept waren sehr beeindruckend.«
»Danke.«
»Das ist genau der Stil, wie unser Haus ihn pflegt.« Er präsentierte ihr einen Ordner mit Skizzen diverser Schmuckstücke, den sie aufmerksam durchblätterte. »Ich darf Sie doch Linda nennen, oder?« Als sie nickte, kam er lächelnd zum Kern der Sache. »Sie können sich sicher denken, warum ich Sie um diese Zusammenkunft bat. Mein Unternehmen ist ständig auf der Suche nach begabten Designern. Wir agieren in einem stark konkurrierenden Wettbewerbsumfeld und versuchen immer, der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein, indem wir junge Leute mit neuen, innovativen Ideen fördern. Das ist der kleine, feine Unterschied zwischen wirtschaftlichem
Überleben und kreativem Eliteanspruch.« Er zuckte theatralisch mit den Schultern. »Sie sind ein solch aufstrebendes Talent, exakt das, was meine Firma sucht.«
»Es ehrt mich, Signor, dass Sie an mich gedacht haben, aber ich muss Sie leider enttäuschen. Ich habe in Sydney einen Job.«
»Das ist mir bekannt. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und bin bestens informiert, was Ihre Person betrifft, Linda. Ich weiß auch, dass Sie eine der Schmuckfilialen Ihres Vaters leiten. Meine Firma bietet Ihnen einen Einjahresvertrag an. Während dieser Zeit entwerfen Sie exklusiv für uns, mit der Option einer Vertragsverlängerung um weitere zwei Jahre, vorausgesetzt natürlich, Siena mag Ihr Design und Sie mögen die Stadt.« Er machte eine Kunstpause, damit Linda das Gesagte auf sich wirken lassen konnte. »Wir bieten Ihnen ein attraktives Gehalt – im Klartext: ein Drittel mehr, als Sie derzeit verdienen, und ein Apartment in Siena zu einem Spottpreis. Er grinste selbstgefällig. »Das hört sich doch gut an, oder?«
»Es klingt sehr verlockend, Signor, aber ich brauche auf jeden Fall noch ein bisschen Bedenkzeit. Ein Umzug nach Italien ist eine
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