Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Zeit mit der »Tränenarie« (»Erbarme dich, mein Gott …«) aus Bachs »Matthäus-Passion«.
»Fr, 16. 5. 1975 – Frühstück im Grünen, sehr harmonisch, fast schon zu harmonisch. […] Wahrscheinlich kommt man in solcher Umgebung auch nur auf Quatsch. Viel Musik gehört, von der wir uns kaum losreißen können. Mehrfach Nr. 47 aus der Matthäus-Passion. […] Schönes Arbeiten, durch schönes Essen unterbrochen. Ich diktierte die Regiebücher der Sekretärin. […] TV: »In a Lonely Place« von Nicholas Ray. […] Wir zogen es vor, Musik zu hören, was in diesem Haus unbegrenzt laut möglich ist. Viel Wagner und alte Sänger. Lauri Volpi, Charles Kullmann, Caruso, schöne Momente.«
Das war, neben Wagner, Loriots zweite musikalische Leidenschaft, große Stimmen, vor allem die großer Tenöre. Bis zu seinem Tod konnte ihn weniges so beglücken wie verrauschte alte Aufnahmen aus der Glanzzeit des Gesangs. Giacomo Lauri Volpi, Beniamino Gigli, Giuseppe Di Stefano,Gianni Raimondi, Helge Rosvaenge, Franz Völker, Max Lorenz, Mario del Monaco, die Liste ist lang …
Loriot war als Cartoonist auch ein Kenner und Sammler von Originalzeichnungen. Er bewunderte und liebte den Engländer Ronald Searle, aber von niemandem hatte er wohl so viele Blätter wie von dem unvergessenen F. K. Waechter inklusive des Originals von »Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein«. Von Saul Steinberg besaß er meines Wissens keine Zeichnung, dafür wusste er eine sehr schöne Geschichte zu erzählen. Als er Steinberg in den sechziger Jahren in New York besuchte, ging der zu einem Schrank und holte ein Blatt hervor. Es war eine Zeichnung, die er 1958 in Cannes zusammen mit Picasso zu Papier gebracht hatte. Wie zwei Kinder, von denen eines mit vorgehaltener Hand zu zeichnen beginnt, hatten sie wechselseitig das Blatt zusammengefaltet, so dass der jeweils andere immer nur den Ansatz der vorigen Zeichnung übernehmen und weiterführen konnte. Loriot war fasziniert von dem mehrfach gefalteten Ergebnis der beiden Großmeister. Wenn man im Internet nach »Picasso Steinberg« sucht, findet man mit etwas Glück eine Abbildung des Kunstwerks.
Die drei Tage am Starnberger See vergingen wie im Flug. Natürlich hatten wir unsere Schularbeiten gemacht und den Dreh sorgfältig vorbereitet, in der Erinnerung, aber auch in der damaligen Wahrnehmung waren es Tage der puren Freude: »Sa, 17. 5. 1975 – Frühstück mit Barockmusik (Händel) nach kleinem Spaziergang mit Hunden. Dann wieder Tischtennis und Musikhören. Plattentips. Ich habe fast das Gefühl, drei Tage Ferien gemacht zu haben. Nach großartigem Spargelessen (Erdbeeren jeden Tag) Fahrt über Grünwald zum Flughafen.«
Bevor der Dreh in Frankfurt begann, gab es noch einen konzentrierten Tag mit Produktionsbesprechungen in Bremen. Am 4. Juni 1975 war es endlich so weit – mein erster Drehtag mit Loriot.
Loriots sauberer Bildschirm (Loriot 1)
I. Akt
Als wir die »Bananenschale«, den ersten Sketch der ersten Bremer Sendung, drehten, ahnten wir nicht, dass dies der Beginn einer neuen Ära des deutschen Fernseh-Humors werden sollte. Vor Drehbeginn hatten wir jedoch ein kleines Problem. In der Szene geht es um einen seriösen Geschäftsmann (Loriot mit schwarzem Hut, dicker Hornbrille, Kamelhaarmantel und Menjou-Bärtchen), der sich in der Abflughalle eines Großflughafens vor seiner Reise noch eine Zeitung und eine Banane kauft. Nach dem ersten Biss merkt er, dass die Banane faul ist, und macht sich auf die Suche nach einem Papierkorb, um das Corpus Delicti loszuwerden. Das ist im Wesentlichen der Inhalt. Problematisch war, dass in der Haupthalle des Frankfurter Flughafens, wo wir drehten, an jeder Ecke ein Papierkorb stand. Bei allen Totalen musste die Halle also komplett von Papierkörben »bereinigt« werden, eine Aufgabe, mit der unser kleines Team schnell an seine logistischen Grenzen stieß. Der Sketch hätte schlichtweg nicht mehr funktioniert, wenn der Geschäftsmann einen Papierkorb gefunden hätte.
Es ist eher untypisch für Loriot, der ein so genauer Beobachter der Wirklichkeit war, dass er sich die Wirklichkeit dann doch zurechtbog, wenn es um den komischen Effekt ging. Aber selbst wenn sich der eine oder andere Zuschauer fragen mochte, warum es in Frankfurt keine Abfallkörbe gibt, der Sketch funktionierte.
Für den Dreh des knapp vier Minuten langen Filmchens hatten wir drei Tage Zeit, für heutige Verhältnisse eine unvorstellbar großzügige Disposition, selbst wenn man die
Weitere Kostenlose Bücher