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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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hochprofessionelle Tonaufnahme- und Überspielgeräte – einkomplettes Produktionsstudio. Es war das Paradies für einen jungen Filmstudenten, der sich danach sehnte, unabhängig zu arbeiten.
    Wenn man aus der Tür des Studios trat und eine kleine Böschung hinabging, musste man nur noch die ruhige Uferstraße überqueren, schon stand man am See. Der hatte bereits damals Trinkwasserqualität, im Gegensatz zu unserer vergleichsweise dreckigen Berliner Havel. Fünfhundert Meter weiter lag Loriots kleines unbebautes Seegrundstück mit einem Ruderkahn und einem einfachen Katamaran – alles, was das Herz begehrte.
    Die 68er Jahre hatten uns weitgehend skeptisch gegenüber den Freuden des Lebens gemacht. Luxus war sträflich, Hedonismus gefährlich, und das Leben auch nur ein bisschen zu genießen war zumindest verdächtig. In Ammerland entdeckte ich die Annehmlichkeiten bürgerlichen Wohlstands, die ich aus meiner Kindheit kannte, wieder. Auch mein Vater hatte ein handtuchgroßes Wassergrundstück mit Holzhäuschen und schiefem Bootssteg. Der politisierte Berliner Blick hätte Loriot damals vermutlich einen verschwenderischen bourgeoisen Lebensstil vorgeworfen, war man aber in Ammerland, so wirkte alles selbstverständlich und keineswegs verwerflich. Ich fühlte mich bei Bülows fast zuhause.
    Viel wichtiger als alles andere war aber die Musik. Schon bei meinem ersten Besuch spielte sie eine Rolle, nur hatten wir da noch nicht genügend Zeit, uns dem Thema ausführlicher zu widmen. Jetzt, bei meinem zweiten, längeren Aufenthalt bei Bülows, stöberten wir gemeinsam in Loriots Plattenschätzen – die sich zum Teil mit meiner Sammlung in Berlin deckten – und gaben uns gegenseitig Kennertipps. Schließlich stellte er mir die Gretchenfrage: »Was halten Sie eigentlich von Wagner?« Wir siezten uns selbstverständlich, und das noch eine lange Zeit. An diesem Nachmittag outete sich Loriot mir gegenüber als glühender Wagnerianer.
    Mit Wagner war das bei mir so eine Sache. Meine Erfahrungen mit dem Bayreuther Meister waren rudimentär. Ich hatte Jahre zuvor den »Lohengrin« in einer eher ermüdenden Inszenierung in Berlin gesehen und später einen intensiven Abend im Haus von musikliebenden Freunden meiner Mutter mit einer »Parsifal«-Schallplattenaufnahme und der Partitur auf den Knien verbracht. Damit erschöpfte sich meine Wagnerkenntnis. Außerdem war mir der Komponist wegen der Begeisterung der Nazis für seine Musikdramen und wegen seines Antisemitismus politisch suspekt. Meine Götter der Opernbühne waren Verdi und natürlich Mozart, dessen Bühnenwerke ich mehr oder weniger auswendig kannte und der als gesellschaftliches Enfant terrible deutlich besser in mein rebellisches Weltbild passte als der anscheinend so reaktionäre Wagner. Dass Wagner im Dresdner Aufstand Barrikaden gebaut hatte, steckbrieflich als Revolutionär gesucht wurde und mit dem russischen Anarchisten Bakunin befreundet war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
    Loriot begriff sofort, dass hier ein fruchtbarer Boden war, den zu bestellen er die Chance nicht verstreichen lassen wollte. Ich gestand ihm, dass meine musikalische Sozialisation bei Bruckner (dem »Wagner der Symphonie«) und Mahler stehengeblieben war. Mahler und Bruckner waren zwar ohne Wagner nicht denkbar und beide große Verehrer des Bayreuthers, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. In Berlin gab es seit Jahren geradezu eine Mahler-Renaissance, mithin die besten nur vorstellbaren Aufführungen seiner Symphonien. Loriot ließ nicht locker und wollte es wissen. Mit unermüdlicher Zähigkeit und großer Geduld spielte er mir zunächst seine Lieblingsstellen aus der »Walküre« vor. Die Tatsache, dass ich grundsätzlich Opern mochte und ein Liebhaber großer Stimmen war, machte ihm – und mir – die Sache leicht. Ich war erstaunt, wie zart Wagner klingen konnte. Das war alles andere als Nazimusik. In die Diskussion, ob Wagner für die Verbrechen des Nationalsozialismus verantwortlich zu machen sei, sind wir erst viel später eingestiegen (mit einem klaren »nein« als Antwort), hier stand zunächst die Musik im Mittelpunkt und fegte mit ihrer poetisch-erotischen Kraft alle meine politischen Ressentiments hinweg.
    Schon wieder öffnete Loriot mir eine Tür, durch die ich zunächst nur zaghaft blinzelte. Später ging ich hindurch, die Ergründung des Kosmos Wagner hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.
    Loriot vermochte die kompliziertesten

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