Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
dicke Loriot-Buch« nun aber plötzlich keine Bückware mehr sein sollte, leuchtete uns noch nicht ein. Kultzscher erläuterte uns die Sonderbarkeiten der sozialistisch-kapitalistischen Ost-West-Geschäfte. »Bisher war das Geschäft mit dem Diogenes Verlag ein Valuta-Geschäft.« »Valuta« war das lateinische DDR-Wort für westliche Devisen. Der Eulenspiegel-Verlag hatte laut Vertrag an Diogenes die Lizenzgebühren für das Buch in harter Währung zu entrichten. »Wenn die aber bei uns drucken lassen, dann können wir ja die Valuta einsparen und die Lizenzgebühren abarbeiten. Durch Drucken. Und dann können wir mit dem eingesparten Geld das Papier für eine zweite Auflage kaufen.« Einleuchtend. Herr Kultzscher war glücklich und fuhr, nachdem er für seine Kinder noch Beatles-Platten eingekauft hatte, zurück nach Ost-Berlin. Wir hingegen waren um tiefe Einsichten in die Ökonomie der DDR reicher. Als die zweite Auflage des Buches irgendwann erschien, wurde sie, niemand hatte ernsthaft etwas anderes erwartet, so erfolgreich, dass auch sie ausschließlich als Bückware in die Hände ihre Leser gelangte.
Das Buch erschien zwar erst im folgenden Jahr, aber Loriot kam schon im Herbst 1976 nach Berlin, in die Stadt seiner Jugend, die er so sehr liebte, die er aber damals noch nicht regelmäßig besuchte. Anlass der Reise war ein Besuch beim Eulenspiegel-Verlag und, wie mein Vater es immer nannte, das »Spurenküssen«.
Wie so oft verstand Loriot es auch hier, das Private mit dem Beruflichen aufs Glücklichste zu verbinden. Seine Tochter Bettina war aus London nach Berlin gekommen, und er wollte ihr die Stadt zeigen. Ich kutschierte die beiden herum. Wir suchten das alte Bülow’sche Familiengrab in Lichterfelde auf, wo mehrere seiner Vorfahren begraben liegen und die kleine ehemalige Dorfkirche heute wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, gefangen zwischen zwei donnernden Fahrspuren des Hindenburgdamms, steht. Wir besuchten die Häuser in der Pariser Straße 55 (»Schräg gegenüber hatten sich Weizsäckers eingemietet. Wir kannten sie damals nicht. Richard war wohl um die zehn Jahre alt und darum noch nicht Bundespräsident.«) und am Hohenzollernplatz, Ecke Düsseldorfer Straße, wo der kleine Vicco nach dem frühen Tod seiner Mutter bei seiner Großmutter und Urgroßmutter wohnte. Natürlich besichtigten wir auch die größte historische Sehenswürdigkeit des damaligen West-Berlins, das Charlottenburger Schloss. Abends ging es in die Oper (Henze: »Wir erreichen den Fluss«) und in die besten Restaurants der Halbstadt.
Richtig aufregend wurde es dann in Ost-Berlin. Als West-Berliner Urgestein (der Begriff »Wessi« bezeichnete zu dieser Zeit noch die Westdeutschen, die in großen touristischen Gruppen West-Berlin heimsuchten und bei uns West-Berlinern nicht gerade beliebt waren) hatte ich so meine Problememit der DDR. Von Kind an hatte ich die unfreundlichen und teilweise entwürdigenden Prozeduren der DDR-Grenzer am eigenen Leib erfahren. Meine Vorstellung von Sozialismus war eine gänzlich andere. Dennoch war ich immer mal wieder in Ost-Berlin, wo ich auch Freunde hatte. So hatten Loriot und ich einigermaßen unterschiedlich gelagerte Gefühle, als wir gemeinsam nach »Berlin, Hauptstadt der DDR« fuhren. Ich war kritisch, er war neugierig, der Stadt seiner Kindheit wiederzubegegnen.
Der Besuch beim Eulenspiegel-Verlag war spannend, weil ich zum ersten Mal Gelegenheit hatte, die DDR von innen kennenzulernen, und erstaunt feststellte, dass es dort durchaus kritische Geister gab. Loriot war, wie mir schien, die politische Erkundung der DDR weniger wichtig als die menschlichen Begegnungen, darin war er mir weit voraus. Dass das Mittagessen im Künstlerclub »Die Möwe« in der Luisenstraße stattfand, freute ihn ganz außerordentlich, galt das Haus doch früher als Bülow’sches Palais. Dass in dem Haus nie ein Bülow gewohnt hatte, fand er erst nach der Wende heraus. Heute ist in dem restaurierten Haus die Landesvertretung von Sachsen-Anhalt untergebracht.
Wir wurden weiter durch die Kulturszene Ost-Berlins gereicht. Dazu gehörte ein Besuch im »Club der Kulturschaffenden« und einer im Kabarett »Distel«, das uns zu brav erschien, vermutlich haben wir einen Großteil der subtilen politischen Anspielungen gar nicht verstanden.
Der Moment, der mir von diesem Tag am stärksten in Erinnerung geblieben ist, ist die Wachablösung an der Schinkel’schen Neuen Wache Unter den Linden. Das Schauspiel zog jeden
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