Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Köche. Über das Schwimmverhalten von Nudelstücken wussten wir beide nichts. Ich nahm also eines der noch vorhandenen Stücke, die Kamera wurde groß auf die Espressotasse eingerichtet, und ich legte die Nudel »auf«den Espresso. Sie ging auf der Stelle unter. Klar, Nudeln sind schwerer als Wasser, aber daran hatte niemand gedacht. Die Einstellung war aber zu wichtig für den Sketch, als dass man auf sie hätte verzichten können. Schließlich ist die humorlose Beschwerde des Mannes über die schwimmende Nudel der Augenblick, in dem er sich endgültig als cholerischer Spießer entpuppt – für die stoische Evelyn wie für die Zuschauer.
Das ganze Team grübelte, wie man auf die Schnelle zu einer glaubwürdigen und schwimmfähigen Nudel kommen konnte. Der Tag war lang gewesen, und die Szene musste abgedreht werden, damit der Drehplan nicht durcheinandergeriet. Da kam mir eine Idee. Ich riss die obere Klappe meiner Zigarettenschachtel ab – zu der Zeit war ich noch ein starker Raucher – und drehte zwischen den Fingern ein kleines Pappröllchen, das in Farbe, Größe und Biegung der Nudel glich, die vorher auf Wanderschaft in Loriots Gesicht gewesen war. Dann musste alles sehr schnell gehen. Die Kamera wurde eingeschaltet und das Nudeldouble zu Wasser gelassen. Es schwamm und nahm glücklicherweise die Farbe des Kaffees erst an, als die Einstellung im Kasten war.
Die »handgedrehte« Nudel
Wenn man sehr genau hinsieht, kann man vielleicht erkennen, dass es keine richtige Nudel ist, aber in den Siebzigern waren die Fernsehgeräte gottseidank noch nicht so hochauflösend wie heute.
Klaus Schultz, der, ebenso wie Olli Dittrich und ich, im Dezember 2011 auf der Berliner Gedenkfeier für Loriot sprach, hatte einen bemerkenswerten Text gefunden und dort verlesen. Die kleine Anekdote war ihm anlässlich des gerade zuende gegangenen Heinrich-von-Kleist-Gedenkjahres in die Hände gefallen. Sie ist am 1. November 1810 erschienen und trägt den Titel »Rätsel«:
»Ein junger Doktor der Rechte und eine Stiftsdame, von denen kein Mensch wusste, dass sie miteinander in Verbindung standen, befanden sich einst bei dem Kommandanten der Stadt in einer zahlreichen und ansehnlichen Gesellschaft. Die Dame, jung und schön, trug, wie es zu derselben Zeit Mode war, ein schwarzes kleines Schönpflästerchen im Gesicht, und zwar dicht über der Lippe, auf der rechten Seite des Mundes. Irgendein Zufall veranlasste, dass die Gesellschaft sich auf einen Augenblick aus dem Zimmer entfernte, dergestalt, dass nur der Doktor und die besagte Dame darin zurückblieben. Als die Gesellschaft zurückkehrte, fand sich, zum allgemeinen Befremden derselben, dass der Doktor das Schönpflästerchen im Gesichte trug; und zwar gleichfalls über der Lippe, aber auf der linken Seite des Mundes.«
Klaus Schultz schloss mit dem Satz: »Hat Kleist mit dieser anmutigen Anekdote etwa Loriot und seine Nudelszene prophezeit?«
Bei »Liebe im Büro« hatte Evelyn deutlich mehr zu tun als in der »Nudel«. Und sie durfte sich abermals verwandeln. Die hübsche, fröhlich lachende junge Schauspielerin mutierte zu einem bebrillten Mauerblümchen, das seit fünfzehn Jahren in stiller Liebe zu ihrem Chef im Vorzimmer brav ihren Dienst tut. In der Szene unternimmt der ältliche Chef einerTrikotagenfabrik den ungelenken Versuch, seine Sekretärin anlässlich ihres Dienstjubiläums in seinem Büro zu verführen. Die Requisitenliste forderte zwei gleiche »Dreh-Kipp-Roll-Sessel«, von denen sich der eine extrem weit zurückkippen ließ (fast bis zum Umfallen). Der Boden vor dem Schreibtisch sollte hellgrau oder gelb ausgelegt sein. Darauf zwei oder drei niedrige breite »Roll-Dreh-Sessel«.
Loriot hatte eine Vorliebe für bestimmte Verallgemeinerungen, die der deutschen Sprache eigen und ein Quell subtiler und stiller Komik sind. Aus Sofa und Sessel macht diese Eigenheit unserer Sprache die »Sitzgruppe« und aus einem Fußbodenbelag die »Auslegeware«. Wenn er privat nach seinen Zigarillos suchte, fragte er immer: »Weißt du, wo meine Rauchwaren sind?«, wohl wissend, dass das Wort »Rauchwaren« Pelze bezeichnet. Als hätte er jahrelang die Korrespondenz von Trikotagenfirmen studiert, wusste er, dass auch im textilen Singular feine Komik schlummert. Während der verunglückten Liebesszene erreicht den Chef ein Telefonat mit der Bestellung von »400 Arosa schlitzverstärkt mit kurzem Arm«. Niemand hatte für die versteckten Perlen unfreiwilliger deutscher
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