Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
mitgebrachten Papierstapel tatsächlich um die Druckvorlagen des geplanten Buches handelte. Verwundert blätterte Loriot die Seiten durch. Spätestens bei der ersten im Buch reproduzierten Fotografie fiel auf, dass die »Druckvorlagen« von miserabler Qualität waren. »Wo haben Sie die denn her, Herr Kultzscher?«, erkundigte sich Loriot angelegentlich. »Das sind Fotokopien aus Ihren Büchern. War gar nicht leicht ranzukommen, Ihre Bücher gibt’s ja bei uns in der DDR offiziell nicht. Noch nicht.« Langsam schwante uns, was man in Ost-Berlin geplant hatte. Die mühsam zusammengesuchten originalen Loriot-Bücher waren auszugsweise fotokopiert worden. Und diese bescheidenen Ablichtungen sollten tatsächlich die Druckvorlagen für das »Dicke Loriot-Buch« werden.
Wie war die Situation zu meistern, ohne dass Peinlichkeit entstand und Herr Kultzscher, der so stolz auf seinen Kopienstapel war, sich herabgesetzt fühlte? Loriot ging nach nebenan in sein Arbeitszimmer und holte einige Exemplare seiner Bücher, um sie Herrn Kultzscher zu zeigen. Kultzscher griff nach einem Buch, schlug es auf, schob seine Brille mit den Glasbausteinen in die Stirn und begutachtete die Druckqualität des Diogenes-Originals. Wegen seiner starken Kurzsichtigkeit musste er fast in das Buch hineinkriechen. Seine Nase berührte jedenfalls, und das ist nicht übertrieben, das Papier: »Ja, dasist natürlich eine ganz hervorragende Qualität, das ist ja viel besser als unsere Kopien.« – »Wissen Sie was, Herr Kultzscher«, sagte Loriot, »was halten Sie davon, wenn ich bei Diogenes anrufe und frage, ob man Ihnen nicht die originalen Offset-Druckplatten zur Verfügung stellen kann?« Herr Kultzscher fand das eine großartige Idee, war aber zögerlich, weil er einerseits Probleme mit dem Transport der Druckplatten von Zürich in die DDR befürchtete, andererseits weil er zusätzliche Devisen-Kosten auf seinen Verlag zukommen sah. In der Schweiz konnte man bekanntlich mit DDR-Mark nicht bezahlen.
Loriot ging erneut nach nebenan und rief in Zürich an. Die Recherche der Druckplatten dauerte etwas, man wollte zurückrufen. In der Zwischenzeit blätterte Loriot Kultzschers Konvolut weiter durch. Die Reihenfolge der Zeichnungen gefiel ihm, aber je mehr Kopien er sah, desto deutlicher wurde, dass er unter gar keinen Umständen zulassen würde, sein Werk in derartig minderer Qualität erscheinen zu lassen.
Als der Rückruf kam, hörte wir im Wohnzimmer nur Loriots erstaunte Ausrufe: »Nein! Das ist ja fabelhaft!« Er kam gut gelaunt ins Wohnzimmer zurück. »Jetzt raten Sie mal, wo die Druckplatten lagern.« – »Keine Ahnung.« – »In der Druckerei ›Völkerfreundschaft‹ in Leipzig!« Kultzscher war völlig aus dem Häuschen. »Das gibt’s doch nicht!« Doch, das gab es. Der Diogenes Verlag ließ, wie viele Verlage aus dem Westen, große Teile seiner Auflagen in der DDR drucken. Die Leipziger Druckereibetriebe waren traditionell sehr gut. Lediglich das Papier mussten die Westverlage anliefern. Die Bücher durften in der DDR jedoch nicht in den Verkauf gelangen. Sie wurden noch in der Druckerei verpackt, versiegelt und in den Westen geschafft, wo sie in den Buchhandel kamen.
Nachdem das erste Erstaunen verflogen war, hellten sich Kultzschers Züge auf. »Wenn die ›Völkerfreundschaft‹ für Diogenes druckt, dann …«, sein Grinsen wurde immer breiter,»… dann kriegen wir ja eine zweite Auflage, und das Buch wird keine Bückware.« Sowohl Loriot als auch ich hörten das Wort »Bückware« zum ersten Mal.
Herr Kultzscher erklärte den komplizierten Mechanismus: In der DDR verstand man Bücher als Teil der Volksbildung, sie wurden im Laden deutlich unter ihrem Herstellungspreis verkauft und waren somit für den Staat ein teurer Luxus. Wenn die erste Auflage eines Buches vergriffen war, wurde nicht automatisch nachgedruckt, sondern erst entschieden, ob man sich eine weitere kostspielige Auflage leisten wollte. War ein Buch aber besonders gefragt, so war die Erstauflage meist schon vergriffen, bevor sie überhaupt in den Regalen der staatlichen Buchläden auftauchte. Die Stammkunden hatten vorab mit den Damen und Herren Buchhändlern ihre Privatabsprachen getroffen – wie auch immer das vonstattengegangen sein mag. Wenn die Kunden dann das »bestellte« Buch abholten, musste sich der Buchhändler hinter seiner Theke bücken, um die heiße »Bückware« aus einem Versteck im untersten Fach hinter der Kasse hervorzuziehen.
Warum »Das
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