Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
meinen Freund mit weiteren Závodszky-Aufnahmen beglücken konnte.
Über den Mangel an Závodszky tröstete er sich mit Leo Slezak hinweg. Seltsamerweise weniger mit dessen legendären Wagner-Aufnahmen als vielmehr mit seinen bewegenden, extrem lyrischen Schubert- und Schumann-Liedinterpretationen. Dass Slezak mit seiner Riesenstimme außer Wagner auch stille romantische Lieder gesungen hatte, war für mich eine aufregende Neuigkeit. Mir war Slezak bis dahin ohnehin mehr als Filmkomiker (das wurde er nach seiner Opernlaufbahn) und Autor humoristisch-autobiographischer Bücher vertraut. Mein Vater hatte außerdem einmal mit Slezaks Sohn, dem Schauspieler Walter Slezak, gedreht, der ihm erzählte, dass er als vierjähriges Kind in einer »Lohengrin«-Aufführung seines Vaters als ganz weit entfernter Mini-Lohengrin im perspektivisch verkleinerten Mini-Schwanenkahn quer über die Bühne gezogen wurde.
Die letzte Oper, die Vicco für sich entdeckte, war Erich Wolfgang Korngolds »Die tote Stadt«. Korngolds schwer zu inszenierendes und wenig gespieltes Meisterwerk war endlich mal wieder etwas, was er sich neu erschließen konnte. Noch in seinen letzten Wochen im Krankenhaus beschäftigte ihn intensiv die Frage, welcher Aufnahme der »Toten Stadt« der Vorzug zu geben sei, der älteren mit Carol Neblett und René Kollo oder der neuen mit Angela Denoke und Torsten Kerl.
Loriots musikalische Werke
1975 klingelte bei Loriot das Telefon. Am anderen Ende war Karl Böhm. Der Dirigent wollte mit seinem Sohn Karlheinz Böhm Sergej Prokofieffs »Peter und der Wolf« aufnehmen und fragte Loriot, ob er nicht Lust hätte, einen neuen Text dafür zu verfassen. Loriot fühlte sich durch den Anruf des großen Maestro geschmeichelt und sagte zu. Die Platte mit den beiden Böhms bekam den Deutschen Schallplattenpreis, Loriots Version von »Peter und der Wolf« wurde ein Klassiker. Später hat er seinen Text selbst gesprochen und noch weitere Neufassungen für Kinderklassiker geschrieben, »Der Karneval der Tiere« von Camille Saint-Saëns und »Die Geschichte von Babar« von Francis Poulenc.
Irgendwann rief auch die Opernbühne nach ihm. Seine Leidenschaft für das Musiktheater führte zwangsläufig dazu, dass er selber eine Oper inszenierte. Die Angebote waren vielfältig, man öffnete ihm überall Tür und Tor. In München, wo er schon 1973 in einer Faschingsmatinee mit drei Intendanten, einem Kritiker und einem Feuerwehr-Brandmeister »über die Schwierigkeit, die Bayerische Staatsoper in die Luft zu sprengen«, diskutiert hatte – angeregt durch Pierre Boulez’ 1967 in einem »Spiegel«-Interview geäußerten Vorschlag, alle Opernhäuser in die Luft zu jagen –, hätte er sogar den »Tristan« machen können. Aber Loriot wägte sorgfältig ab. Er wählte nicht den allzu nahe liegenden Lortzing, und er scheute die großen Mozart-Komödien wegen ihrer Popularität und ihrer zu bedeutenden Musik. Kurz dachte er darüber nach, Wagners »Meistersinger von Nürnberg« anzugehen, wollte aber mit seiner ersten Opernarbeit nicht das Risiko eingehen, ausgerechnet an seinem Lieblingskomponisten zu scheitern. So fiel die Wahl auf Flotows »Martha«, eine selten aufgeführte Spieloper mit schöner Musik, wofür allein schon die Tatsache spricht, dass »Martha« die einzige Oper ist, aus der Caruso fünf Nummern auf Schallplatten aufgenommen hat. Loriot benutzte die Inszenierung, um sich ganz in die imaginäre Welt seiner Kindheit, das heile 19. Jahrhundert, zurückzuträumen.
Bei der Produktion der »Martha«, 1986 in Stuttgart, war ich nicht dabei, wohl aber bei der Premiere. Loriot hatte die Idee, die Bühne wie ein großes Spielzeug-Papiertheater mit gemalten Kulissen und Sofitten zu behandeln. Er wollte seine Inszenierung machen wie ein Kindertheater, denn als Kind sei er manchmal enttäuscht gewesen, weil im Theater das, was das Stück versprach – einen Wald, einen See, ein Schloss –, nicht gezeigt wurde. Natürlich war seine Version nicht kindlich, sie war vor allem sehr komisch. Der Erfolg war enorm. Später wurde die Inszenierung vom Theater in Meiningen und vom Gärtnerplatztheater in München übernommen und auch dort immer vor vollen Häusern gespielt.
Loriot wäre nicht Loriot gewesen, wenn er nicht auch in die »Martha« ein bisschen Wagner hineingeschmuggelt hätte. In der großen Szene in der Waldschänke sitzt am Wirtshaustisch ein einsamer Gast, der an seinem Barett eindeutig als der Bayreuther Meister zu
Weitere Kostenlose Bücher