Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
Ver … Ver … Ver … w … w … w … waltungsinspektor …«
»Mooo-ment«, stoppt Herr von Bülow abrupt die Probe, »so geht das alles nicht.«
Habe ich was falsch gemacht? Meine Gesäßmuskeln verkrampfen. Ich bin Schauspielanfänger im Erstengagement, spiele den Astronauten Wieland, der in Wahrheit Verwaltungsinspektor ist.
Und mein Idol, Loriot, Vicco von Bülow, ist aus dem Olymp des Humors zu uns herabgestiegen, um hier in der Aachener Provinz seine erste Arbeit als Theaterregisseur zu wagen. Wir proben »Loriot’s Dramatische Werke«. Dieses Glück der Zusammenarbeit mit ihm hätte ich mir eigentlich für den Gipfel meiner Karriere gewünscht, aber nun mache ich mir vor Angst fast in die Hose, dass irgendeine seiner Gesten oder irgendeiner seiner Blicke meine Laufbahn schon im ersten Jahr vernichten könnte. Die Grenzen des eigenen Talents erkennen zu müssen ist sowieso kaum zu ertragen, aber senkt das Genie aller Genies, Loriot höchstpersönlich, den Daumen, gebe ich für immer auf …
»So geht das nicht«, wiederholt Herr von Bülow und wendet sich an meinen Kollegen, den Interviewer: »Stottern sieht anders aus.« – Glück gehabt, der Meister meint nicht mich.
»Beim Stottern zuckt nicht das ganze Gesicht«, fährt er fort, »die obere Hälfte des Gesichts bleibt völlig ruhig, während nur die untere Hälfte entgleist. Schauen Sie …« Mein Kollege und ich kleben an seinen Lippen.
»Herr W … W … Wieland …«, verrutscht Loriots untere Gesichtshälfte, aber seine Augen »… Ver … Ver … Ver … w … w … w … waltungsinspektor …« starren uns ungerührt regungslos an. »… fa … fa … fa … fantastisch …« Und urkomisch, seine eine Gesichtshälfte weiß nichts von der anderen. »… F … F … F … Freitag«, meine Angst hat sich inzwischen ver … ver … f … f … flüchtigt, mein Krampf gelöst, meine Muskeln entspannen sich. »Ver … Ver … Ver … suchen Sie’s«, macht Loriot uns Mut, »… f … f … f … f … f …« – und plötzlich, aus heiterem Himmel und ganz trocken: »Donnerstag!«
fff … Meine Hose wird warm. Vor Schreck, vor Lachen, vor Loriot hat sich fff … bei mir etwas gelöst.
»Ver … Verzeihen Sie, Herr von Bülow, darf ich mal eben …«, stottere ich und zeige nach draußen.
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Der Dialog über die Frage, was komisch sei, begleitete uns über Jahrzehnte. Zum Beispiel Namen. Loriot fand, dass Thomas Mann in der Wahl seiner Namen zu komisch gewesen sei. »Kuckuck, Peeperkorn und Grünlich« seien eben gewollt komisch und nicht wirklich komisch (ich war da nicht ganz seiner Meinung). Loriot bevorzugte bei Namen bestimmte Vokal- und Konsonantenverbindungen. »Blöhmann« fand er komisch wegen des B-l-ö. Sein Reporter »Schmoller« war nicht komisch, weil man an jemanden dachte, der schmollt, sondern weil man beim Aussprechen des Namens die Lippen spitzen muss und, wenn man es richtig macht, wie ein Loriot-Männchen aussieht. Ähnliches gilt für die Herren »Dr. Klöbner«, »Müller-Lüdenscheidt«, »Fröbel« und »Blühmel«. Eine gewisse Neigung zum Umlaut ist unverkennbar.
Ansonsten verehrte Vicco Thomas Mann über alle Maßen. In einem Interview 1988 bekannte er: »Der einzige große deutsche Schriftsteller, der eindeutig auf Humor setzte, war Thomas Mann. Er hielt den Humor für eines der wichtigsten literarischen Stilmittel. Thomas Mann ging dabei sehr weit – so weit, dass sogar Lungenheilstätten komisch wirken konnten. Ein einsames, großes Beispiel. Bei Mann gibt es überhaupt keine Situation, die nicht auch irgendwo ihre komischen Seiten hätte.« Loriot betonte, dass er vermutlich der Einzige sei, der Manns Tagebücher komplett gelesen habe – Seite für Seite, mit allen Anmerkungen.
Und Manns Definition der Komödie (im Musikerroman »Doktor Faustus«) kommt Loriots Begriff des Komischen sehr nahe: »Tragödie und Komödie wachsen auf demselben Holze, und ein Beleuchtungswechsel genügt, aus dem einen das andere zu machen.«
Auch in einem TV-Interview aus dem Jahr 1986 erweist sich Loriot als Seelenverwandter des Dichters. Er wird nach der Schadenfreude gefragt und landet beim Begriff des Tragischen: »Die Schadenfreude, die sich auf einen selbst bezieht, die ist sehr wohltuend, sie ist nur unangenehm, wenn man jemandanderen gerne ausrutschen sieht.« – »So, wie Sie das eben gesagt haben, hat das etwas mit Tragik im klassischen Sinn zu tun. Ist das Tragische manchmal komisch?« – »Sicher ist es
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