Der glücklose Therapeut - Roman
jahrelange Sonnenstrahlen blond geworden war, dass ich plötzlich wieder an so etwas wie Berührung erinnert wurde, oder an das Fehlen dieser Berührung. Ich wünschte mir, dass sie weitermachte, für immer und ewig zog und zupfte und festzurrte. Doch sie umrundete mich noch ein letztes Mal, betrachtete mich prüfend wie eine frisch verpackte Mumie und sagte befriedigt: » Gut, Sie sind bereit. « Dann sah sie mich an und fragte: » Ready, Freddy? «
Dann tauchten wir. Wir schwebten durch dieses klare Universum, tauchten hinab in eine andere Welt, wo Stille und doch geschäftiges Treiben herrschten. Um uns herum blühten Korallen in unzähligen Farben und Formen. Fische in allen möglichen Schattierungen schwammen hin und her, glänzten und blitzten in den Sonnenstrahlen auf, die von oben herab zu uns in die Tiefe fielen. Wir schwebten gemeinsam dahin in diesem wortlosen Naturtheater. Hin und wieder schwamm sie neben mich, drückte meinen Arm und deutete auf einen vorbeigleitenden Barracuda unter uns oder auf silbrige Fische.Ich folgte Becca zu den Überresten des gesunkenen Schiffs. Wir glitten zwischen gebrochenen Masten, tangbewachsenen Bullaugen und den verrosteten, zerbeulten Decks umher. Schwärme halb transparenter silberheller Fische schwammen vorbei und schwenkten in perfekter Harmonie nach rechts und links.
Der metallene Schiffskörper lag auf der Seite, und die abgebrochenen Teile lagen zwischen Schlamm und Seegras auf dem Meeresboden. In der schwungvollen Linienführung des fleckig gewordenen Bugs und den Konturen des ehemals elliptischen Rumpfs blitzte noch immer vergangene Schönheit auf. Dieses zerbrochene Wrack strömte den Geist des Ganzen aus, das es einst gewesen war, das Echo einer Größe, bezwingend und dennoch friedlich. Wir schwebten gemächlich dahin und schickten Wolken von Luftblasen an die Oberfläche. Nichts war geblieben von all den Menschen, die auf diesem Schiff gesegelt waren, nur das Schiff selbst, das stählerne Gerüst, weigerte sich zu verschwinden, als wollte es darauf bestehen, dass es sie noch immer alle tragen konnte.
Am Kai band Becca Lawrence ihr Boot fest und half mir, meine Ausrüstung abzulegen. Sie wusch unsere Anzüge aus und hängte sie zum Trocknen auf, kämmte ihr Haar zurück und setzte eine Baseballmütze auf. Dann nahm sie mich mit in ihr kleines Büro, setzte sich an den Tisch und ordnete ihre Papiere. Ich gab ihr meine Kreditkarte.
» Wenn ich das mit dem Rabatt gewusst hätte, hätte ich gleich bei der Buchung bezahlt « , sagte ich. » Ich wäre gerne noch zwanzig Minuten länger dort unten geblieben. «
» Haben Sie die Anzeige nicht gesehen? Sie steht auf unserer Webseite « , sagte sie.
» Ich habe den Unterricht nicht gebucht. «
» Wer dann? « , fragte sie geistesabwesend.
» Meine Frau. «
Sie hob den Blick, und ich erkannte die Frage darin. Der Unterricht war vor sechs Monaten gebucht worden. Keine lange Zeit, aber offenbar lange genug, um eine Frau zu verlieren. Und in diesem Moment glaubte ich, in Becca Lawrences Augen ein neues Licht zu erkennen. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, weil ich es mir so sehr wünschte. Vielleicht war es einfach Wunschdenken. Vielleicht halluzinierte ich, wie ein Mann, der sich in der Wüste verirrt hat und in der Ferne eine Oase erstehen lässt. Doch Glaube verfügt über echte Macht, auch ohne eine feste Grundlage in der Wirklichkeit.
Und so beugte ich mich zu ihr und sagte: » Ich hoffe, es ist nicht unhöflich oder unangemessen, aber … darf nach den Regeln Ihrer Tauchschule ein Lehrer mit seinem Schüler etwas trinken gehen? «
Sie lehnte sich zurück, lächelte und betrachtete mich kurz. » Es ist gestattet. Nicht empfehlenswert, meiner Erfahrung nach, aber gestattet. Denken Sie an jemand Bestimmten, mit dem ich etwas trinken soll? «
» Morgen fliege ich nach Middle Caicos « , sagte ich. » Für drei Tage. Wenn ich zurückkomme, würde ich gerne mit Ihnen ausgehen. «
» In Ordnung « , sagte sie. » Und genießen Sie es auf Middle. Es ist ein kleines Paradies. Nicht so erschlossen wie hier. Wenn Sie dort keinen Frieden finden, dann … « Ihre Stimme verlor sich.
34
A m nächsten Morgen nahm ich ein Taxi und fuhr zum Flughafen. Auf der Rollbahn erwartete mich eine Cessna, die wirkte wie ein Spielzeug. Der Pilot sah aus wie ein schlaksiger, verwegen dreinblickender Collegestudent, der nach einer ausgelassenen Nacht im Strandclub zu spät aufgewacht war und das Duschen und Rasieren vergessen
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