Der glücklose Therapeut - Roman
dann in den Wind selbst und schließlich in Stille. Ich umfasste mit beiden Händen ihre Hüften. Sie stieß den Atem aus, dann lief ein kleiner Schauder durch ihren Körper, und sie ließ sich auf meine Brust fallen und lag still. Ich schlang meinen Arm um ihre Schultern. Nach ein paar Minuten stand sie auf und ging ins Bad.
Als sie, ein Handtuch um ihren Körper geschlungen, zurückkam, setzte sie sich auf die Bettkante und sagte: » Und was jetzt? «
Ich seufzte. » Ich weiß nicht. Es ist deine Insel. Was meinst du? «
» Du solltest jetzt einschlafen, und ich sollte mich anziehen und nach Hause gehen. «
» Sollten wir das? Wer sagt das? «
» Es gibt in solchen Fällen Regeln und Bestimmungen. Inselregeln. « Sie lächelte schwach.
» Mir wäre lieber, wenn du bliebst. «
Sie sah mich lange an. » Du willst nicht allein sein. «
Ich nickte. » Nicht nur das. Ich möchte mit dir zusammen sein. «
» Du bist ein Tourist « , sagte sie, » auf der Durchreise. Für mich ist diese Insel mein Zuhause. «
» Was hat das damit zu tun? «
» Du bist nicht in deinem Alltag. Was hier passiert, hat zu Hause eine andere Bedeutung. «
» Ich bin mir nicht mehr sicher, was in meinem Leben zurzeit zu Hause und was nicht zu Hause ist « , sagte ich.
» Du bist allein « , sagte sie, » aber ich weiß nicht, ob du zu haben bist. « Dann sammelte sie ihre Kleider und ihre Tasche auf und küsste mich auf die Stirn. » Ein andermal an einem anderen Ort … «
» Was sage ich jetzt? « , fragte ich.
» Danke und auf Wiedersehen « , sagte sie.
» Danke « , sagte ich. » Auf Wiedersehen. «
Sie schloss leise die Tür hinter sich.
Ich lag rücklings im Bett, betrachtete die Schatten an den Wänden und weinte um Alex.
37
A m nächsten Tag auf dem Weg zum Flughafen bat ich den Taxifahrer, kurz am Strand bei Island Divers anzuhalten.
Als ich die Tür zur Hütte aufmachte, sah ich Becca im Gespräch mit einer lebhaften Familie in Hawaiihemden. Ich stand im Türrahmen. Sie hob den Kopf.
Stumm mimte ich die Worte: einen Augenblick …
Sie entschuldigte sich, und wir gingen nach draußen.
» In zwei Stunden fliege ich nach Hause « , sagte ich. » Ich möchte mich noch einmal bei Tageslicht bei dir bedanken. Ich wollte, dass du weißt … du bist so schnell verschwunden, und ich hatte keine Möglichkeit … ich wollte, dass du weißt, dass letzte Nacht, du und ich … es war gut. «
Sie lächelte. » Auch für mich « , sagte sie.
Ich streckte die Hand aus. » Danke nochmals « , sagte ich, » für diesen Unterricht und auch für den anderen. «
Da umarmte sie mich, leicht zunächst und dann fester. Wir standen einen Augenblick so da und hielten einander umschlungen wie Verliebte, die lange getrennt gewesen waren.
Ich nahm eine Visitenkarte aus meiner Brieftasche und gab sie ihr. » Falls du je in New York bist und es sich richtig anfühlt, mich anzurufen, dann ruf mich an. Ich bin nur einen Flug von der Stadt entfernt. Ruf mich auch an, wenn du nicht deprimiert bist. «
Sie nahm die Karte, lächelte, machte kehrt und ging zurück in ihr Büro.
Ich folgte ihr mit meinem Blick, bis sie verschwunden war.
38
I n jener Nacht, in meinem leeren Haus und meinem leeren Bett, hatte ich einen seltsamen Traum. Ich war Tauchen im Meer, doch das Meer, wie das in Träumen sein kann, war gleichzeitig eine Stadt. Ich tauchte ohne Sauerstoff, schwebte aber dennoch über Korallenriffe hinweg. Plötzlich sah ich Mimi in ihrem Rollstuhl sitzen. Ich hatte Mimi noch nie gesehen, doch ich wusste, dass sie es war. Ihre Arme waren gebräunt und muskulös wie die von Becca, und sie glitt mit hoher Geschwindigkeit lächelnd auf mich zu. Ihre Lippen formten unhörbar die Worte »David, David«. Ich dachte, dass sie zu schnell war und wir demnächst zusammenstoßen würden, doch ich war hilflos, wie das in Träumen so ist, und konnte meinen Kurs nicht ändern. Auf dem Meeresgrund erkannte ich die Überreste meines Hauses, das auseinandergebrochen, mit Algen überwachsen und halb im Schlick versunken war.
Ich erwachte jäh, setzte mich im Bett auf und rieb mir die Augen. Ein erster Lichtschimmer drang durch die Vorhänge. Ich schaute auf den Wecker: sechs Uhr morgens. Dann sah ich in der Ecke, an der Wand neben dem Bett, einen riesigen Tausendfüßer. Bis auf ein schwaches Schwenken seiner Fühler hockte er unbeweglich da, wie von unsichtbarer Hand an die Wand geklebt. Mein Blick saugte sich an ihm fest. Es handelte sich um dieselbe
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