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Der glücklose Therapeut - Roman

Der glücklose Therapeut - Roman

Titel: Der glücklose Therapeut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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sollen hierherkommen, in die Sonne, ans Meer. Das ist die beste Medizin. «
    » Wohl wahr « , sagte ich. » Die Häufigkeit von Depressionen steht überall auf der Welt in Zusammenhang mit der Menge des Lichts. In nördlichen Ländern kommen Depressionen häufiger vor. Es gibt Studien darüber. «
    » Man braucht keine Studien, um das zu wissen « , sagte sie schulterzuckend.
    » Das stimmt « , sagte ich.
    Sie sah mich mit leisem Lächeln an. » Was ist dein Spezialgebiet? Ich hoffe, nicht Beziehungsprobleme. «
    Ich lächelte. » Nein. Ich behandle hauptsächlich Depressionen. «
    » Depressionen, natürlich. « Sie wirkte nachdenklich, als versuchte sie, eine verschüttete Erinnerung ans Tageslicht zu holen: » Ich erinnere mich, dass Depressionen in New York sehr in Mode waren, als ich noch dort war. Jeder, der etwas auf sich hielt, nahm Prozac. Jeder lag irgendwo auf einer Couch, vielleicht sogar auf derselben … Ich empfand das alles wie Selbstbefriedigung, bei allem Respekt. «
    Ich nickte. » Solche Typen kenne ich auch, aber nur wenige. Depressionen in Cleveland sind etwas anderes als Depressionen in New York. «
    » Wie meinst du das? «
    » Ich bin mir nicht ganz sicher. Das Leben in New York bietet irgendwie einen Mehrwert, einen gewissen Glanz. Fragt man jemanden, der nach New York gezogen ist, was ihm an der Stadt gefällt, dann sagt er, die Oper, das Theater, die Museen. Fragt man ihn, wann er das letzte Mal eine Oper oder ein Museum besucht hat, wird er sagen, noch nie. Und doch hat schon die schiere Existenz dieser Einrichtungen einen Effekt, glaube ich. Das Wissen, dass du könntest, wenn du wolltest … es verändert die Qualität dieser Erfahrung, selbst wenn man die Gelegenheit niemals nutzt. «
    » Wie kommt das? «
    » Ich weiß es nicht. Das kam mir nur so in den Sinn « , sagte ich entschuldigend und hob mein Glas. » Ich bin solche Gespräche nicht gewohnt. «
    » Was für Gespräche? «
    » Tiefgründige Gespräche mit Tauchlehrerinnen « , sagte ich. Sie lächelte. » Vielleicht versuche ich auch zu sagen … dass man in einer Großstadt eventuell eine Pose einnehmen kann. Man kann so tun als ob. In der Großstadt kann eine Campbell-Suppendose zum Kunstobjekt werden. Sobald du nach Cleveland kommst, ist eine Suppendose einfach eine Suppendose. Und eine Depression ist einfach eine Depression. Keine Marke, keine Haltung, keine Geste. Kein Statement. Verstehst du? «
    » Ich verstehe, dass das Bier seine Wirkung tut « , nickte sie.
    Wir lachten beide.
    » Trotzdem, vermisst du New York nicht? « , fragte ich. Ich lehnte mich zurück und betrachtete aufmerksam ihr Gesicht, dem das Kerzenlicht einen warmen goldenen Schimmer verlieh. Ihr Blick war weich und neugierig. Ihre Haut wirkte vital und gesund. Unter ihrer Bluse waren schwach die Umrisse ihrer Brustwarzen zu erkennen.
    » New York vermissen? Was daran, die Arbeit? Keinesfalls. Das ist vorbei. Als hätte ein Virus meinen Ehrgeiz gelöscht. «
    » Deine Familie? «
    » Ja. «
    » Nun … «
    » Nun was? «
    » Trotzdem willst du hierbleiben? «
    » Da ist eine Sehnsucht « , sagte sie. » Aber mit Sehnsucht kann man leben, nicht wahr? Vielleicht gibt es keine andere Wahl. Wer muss nicht damit leben? Vielleicht ist es sogar gut, so zu leben. Ich glaube, es ist gut. Besonders wenn man die richtige Sehnsucht gewählt hat, mit der man leben muss. « Sie lachte.
    » Wo « , fragte ich, » ist dieser Flohmarkt der Sehnsucht? Und wie sind die Preise? Gibt es dort eine große Auswahl? Und wie steht es mit dem Service? «
    Sie sah mich an und lächelte. Dann nahm sie einen tiefen Schluck aus ihrer Bierflasche und sagte: » Es gibt gewisse Bedürfnisse, die man nicht ausklammern muss, weißt du; sie können weiterbestehen. Sie sind dazu beschaffen, weiterzubestehen. Es gibt Bedürfnisse, die nicht aus Leere heraus entstehen. «
    » Ah, hier habe ich ein Rätsel für dich « , sagte ich. » Je mehr du mir wegnimmst, desto größer werde ich. Was bin ich? «
    Sie zögerte. » Schulden « , sagte sie schließlich. » Je mehr Geld du von deinem Konto abhebst, desto höher sind deine Schulden. «
    » Nein « , sagte ich.
    » Ich kapituliere « , sagte sie. » Komm schon, sag es mir. Was bist du? «
    » Ich bin ein Loch « , sagte ich. Sie nickte. Ich beugte mich zu ihr: » Und du, was bist du? «
    » Ich bin kein Loch « , sagte sie achselzuckend.
    Ich sah sie an. Ich wusste nicht genau, was sie meinte, hatte aber das Gefühl, dass sie recht hatte;

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