Der Gluecksmacher
Mensch hinterlässt, gut ist oder schlecht.
Das war der erste psychologische Grundsatz, den Irene Großburg verinnerlicht hatte. Der zweite war, dass menschlicheÜberzeugungskraft aus folgenden Ingredienzien komponiert wird: 55 Prozent Körpersprache plus Augenkontakt, 38 Prozent Stimme und nur sieben Prozent Inhalt.
Als Dimsch und Großburg einander vor etwa fünf Jahren kennengelernt hatten, empfing sie ihn aufrecht sitzend. Ihr besticktes, cremefarbenes Businesskostüm hatte seinen Blick auf ihren Hals, ihre Schlüsselbeine gelenkt. Die Art, wie sie ihr blondes Haar hochgesteckt gehabt hatte, korrekt und dennoch irgendwie vielsagend, verwirrte Dimsch aufs äußerste. Seine Nervosität war gewachsen, als sie ihn mit überaus festem Blick und doch gewinnend angesehen hatte. Während er »guten Tag« herausgebracht hatte und ihr ein, zwei Schritte entgegengefallen war, hatte sie kein Wort gesprochen, ihm lediglich ein feines, sparsames Lächeln gewährt. Dimsch hatte ihr die Hand entgegengestreckt, gefühlt, dass sich seine Gesichtsfarbe unvorteilhaft veränderte, hatte abermals »guten Tag« gewünscht, und in diesem Moment war es für ihn durchaus im Bereich des Möglichen gelegen, dass sie ihm den Gruß verweigerte.
Wie ein großzügiges Geschenk hatte er es deshalb empfunden, als sie schließlich doch seine Hand umfasste, warm, fest, und ihm in die Augen blickte. »Guten Tag, Herr Dimsch. Herzlich willkommen.«
Noch Jahre später fürchtete er diese Frau. Und während all der Zeit empfand Dimsch, als sei ihm von irgendwoher, von irgendeiner geheimnisvollen Macht, die unbedingte Pflicht auferlegt worden, die Akzeptanz dieser Frau zu gewinnen und ihre rare Gunst.
Irene Großburg kannte Typen wie diesen Dimsch. Er konnte ihr nichts vormachen. Er war einer jener Männer, die, ein paar wenige Jahre jünger als sie, versuchten, sie mit ihrem wie harmlosdaherkommenden Charme um den Finger zu wickeln. Freilich nur, um sie später auf das Hinterlistigste zu belügen und ihre Gutmütigkeit auszunutzen. Aber sie würde sich nicht einkochen lassen, würde im Gegenteil den Spieß umdrehen. Wie nett und zurückhaltend er getan hatte beim Bewerbungsgespräch, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Und seine geschickte Art, auf seine Erfahrung bei der Zweigstelle in der Provinz hinzuweisen und gleich zuzugeben, dass dort nicht alles rundgelaufen sei. Er hat sicher meinen Lebenslauf und meine Interviews studiert. Woher sonst wüsste er, dass ich genau solche Mitarbeiter suche: das Geschäft von der Pieke auf gelernt, Erfahrung, doch nicht zu viel, biegsam noch, keine Musterschüler, aber einsichtig.
Als er den ersten Schritt in ihr Büro gemacht hatte, war sie sicher gewesen, dass sie ihn haben wollte. Und damals schon hatte sie gewusst, dass sie es bereuen würde, immer wieder. Sie hatte gewusst, dass es eine Hassliebe sein würde, mit mehr Hass als Liebe. Eigentlich eine Hassneugier.
Gänzlich fix war es für sie gewesen, dass sie ihn anstellen würde, nachdem sie mit seinem Ex-Chef telefoniert hatte, diesem pensionierten Zweigstellenleiter, diesem Kipfler. Kipfler! Grässlicher Name, kaum auszusprechen. »Gnädigstes Fräulein«, hatte er in einer Tour gesungen und gesäuselt, der alte Unsympathler, hatte ihr
dringend
abgeraten, diesen Dimsch einzustellen. »Herrgott Sakrament! Nur den nicht!«, hatte er in einem fort gerufen. Einen
großen Fehler
beginge das
gnädige Fräulein,
würde sie diesem
Tunichtgut
eine Chance geben. Alter besserwisserischer Knacker!
»Was ich sehr schätze«, hatte Irene Großburg während Dimschs Bewerbungsgespräch betont, »was ich wirklich sehr schätze, ist die Gabe des Redens beziehungsweise Schweigens im richtigen Moment.«
Dimsch hatte darauf nichts Rechtes zu antworten gewusst, nichts, was nicht platt geklungen hätte. Also hatte er den Mund gehalten, lediglich genickt und versucht, einen wissenden, ja erfahrenen Blick aufzusetzen, einen, der bedeuten sollte: Gewiss, nur zu gut weiß ich, wovon Sie sprechen. Gleich darauf hatte Dimsch das sichere Gefühl gehabt, hoffnungslos albern dreinzuschauen. Etwas, irgendetwas wenigstens sollte er nun doch von sich geben. Hauptsache, den Mund auftun und nicht nur hundsäugig dasitzen. Doch ihm war nichts eingefallen, wie gelähmt war er gewesen.
Er ist schlau, hatte Irene Großburg gedacht. Gefährlich schlau.
»Zudem verlange ich Loyalität«, hatte sie ihr Anforderungsprofil fortgesetzt, »absolute Loyalität. Kann ich die von
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