Der Gluecksmacher
griechischen Philosophen Art war, würde die Auskunft nicht plump und wie nackt daherkommen, sondern elegant gekleidet in eine Frage.
Wärst du empört,
tippte er,
wenn jemand deinen Körper an die Chefin verschenken würde?
Logisch,
kam prompt als Antwort.
Würdest du dich weigern, ihr deinen Körper zu geben?
Sicher, aber was soll die Frage?
Ist dir dein Herz weniger wert als dein Körper? Wenn jemand deinen Körper verschenken würde, wärst du empört. Dein Herz aber öffnest du sperrangelweit jedem Beliebigem, so dass dich kränken kann, wer will?
Diesmal dauerte es, bis die Kollegin reagierte.
Dann das leise Klingeln der neuen E-Mail.
Wahnsinn,
stand da.
Du hast recht. Ich hab es doch gar nicht
nötig, mich verletzen zu lassen von ihr! Du hast völlig recht! Danke, Sebastian!
Zufrieden lehnte sich Dimsch zurück. Philosophie war etwas Wunderbares.
Bleibt nur ein Problem, dachte er wenig später. Bleibt nur noch die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Anderen kluge Ratschläge zu geben war das eine; selbst danach zu handeln das andere. Dimsch verschränkte die Arme. Er versuchte sich an eine Passage in Robert Musils
Der Mann ohne Eigenschaften
zu erinnern. Die Quintessenz eines Dialogs war gewesen, dass sich die Menschen viel zu wichtig nähmen. Deshalb falle es ihnen so leicht, Ratschläge zu erteilen, und so schwer, selbst danach zu handeln. Deshalb auch schienen Sachverhalte bei anderen stets klar und die Probleme einfach zu lösen, bei einem selbst hingegen wirke alles kompliziert und schrecklich schwierig.
»Nimm dich nicht so wichtig, Sebastian«, sagte Dimsch laut, klopfte mit den Knöcheln beider Hände gegen seine Stirn. »Sei locker, ganz locker.«
Mit einem Ruck – er hatte es nicht geplant, war selbst überrascht – zog sich Dimsch den Pullover übers Gesicht. So saß er nun da: mit nacktem Oberkörper und in Wolle gepackten Kopf.
Sein Atem strömte durch den Pullover. Rasch wurde es feucht und warm um Dimschs Mund. Er begann, sich auf dem Bürosessel im Kreis zu drehen, beobachtete dabei, wie der Blick durchs Gewebe die Sicht veränderte. Der taghelle Raum wirkte wie im Abendrot der Sonne, betrachtet von jemandem, der einige Piña Coladas zu viel gekippt hatte. Das machte das Schwindelgefühl infolge des Drehens.
Dimsch stieß sich nochmals ab, zog die langen Beine an, ließ sich um die eigene Achse wirbeln. Das mehrfache, langsamerwerdende Kreisen endete mit der Aussicht auf die Tür. Schwierig wäre es jetzt, überlegte Dimsch, die Situation Peng zu erklären, würde der Bote plötzlich das Zimmer betreten. Der Anblick erinnerte vermutlich an einen Vogel Strauß, der seinen Kopf anstatt unten im Sand oben im Pullover stecken hatte. Noch schwieriger, überlegte Dimsch und sah durch die roten Wollfäden, wäre die Situation freilich jemand anderem als Peng zu erklären. Aber jemand anderer kam ja nicht herein, war noch nie hereingekommen.
Rasch zog Dimsch den Pullover vom Kopf. Die Tür blieb zu.
Mit der Veränderung der Perspektive allein ist es nicht getan, kam Dimsch auf das Thema von Theorie und Praxis zurück. Das Dilemma nämlich war, dass alle, wirklich alle großen Philosophen im Grunde ein und dieselbe Richtung zum Glück wiesen, nämlich schnurstracks weg von allem Äußeren. Und mit Äußerem war nicht etwa Kleidung, Schminke und Haarpracht gemeint. Das Äußere, das war alles: Familie, Freunde, Heim und Heimat, Beruf und Freizeit, selbst banalste Sinnesfreuden, ja, kurzum alles, was für gewöhnlich
das Leben
genannt wird. Nur wenn es einem Menschen gelänge, sich gedanklich abzuwenden von all diesen Leidenschaften, nur dann würden sie ihm kein Leid mehr schaffen. Dimsch schien es gerade so, als sei der Preis des Glücks der lebendige Tod. Denn was war es anderes, als tot zu sein, wenn man sich aller Gefühle entledigt hatte?
Buddha lächelte milde und blieb dabei: Glück, das von äußeren, flatterhaften Umständen abhänge, könne logischerweise nicht wahres, nicht beständiges Glück sein. Würfeln wir ums Glück, machen es also von Zufällen abhängig, spann Dimsch die Idee weiter und erhielt als Lohn eine schmerzlicheEinsicht, werden wir statistisch betrachtet zu fünfzig Prozent unglücklich sein.
Zumindest boten die Philosophen für die Aufgabe alles Äußeren einen Tausch an. Als Konkurrenzprodukt führten sie
Das Innere
im Bauchladen. Womit wir wieder – Dimsch blies alle Luft aus seinen Lungen – bei dem philosophischen Klassiker
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