Der Gluecksmacher
des
Ruhe-in-dir-selbst
wären. Seelische Ausgeglichenheit. Innerer Frieden. Aber wie, Herrgott Sakrament – Dimsch trat gegen den Heizkörper –, wie ist dieser innere Frieden zu erreichen?
Der Abteilungsleiter für Meinungsforschung und Statistik massierte seine Stirn. Mit bloßem Denken war dem Problem nicht beizukommen. Jedenfalls nicht von ihm. Dimsch lehnte sich, den Kampf vorerst aufgebend, erschöpft zurück. Und kurz darauf hörte er es. Er hielt inne. Ja, da war es wieder.
Ein leises, ganz leises Gefühl von Glück durchrieselte ihn, ein kitzelnder Hauch Fröhlichkeit. So lange hatte sie ihn nicht besucht!
Sachte rollte er mit dem Sessel zur Seite, um freien Blick auf das Loch unterm Heizkörper zu haben. Leichtfüßiges Trippeln. Zwei, drei Kratzer, leises Scharren und: Da war sie, die einzige Besucherin, die Dimsch herbeisehnte. Das Mäuslein steckte den Kopf aus dem Loch, schnupperte, duckte sich abrupt. Dimsch fürchtete, sie würde gleich wieder in ihr Reich verschwinden, weil sie – er müsste es verstehen – keinerlei Lust auf Gesellschaft hatte. Doch nein, schon schoss sie zum Papierkorb, prüfte riechend dessen Unterkante, drehte sich nach einer Weile um. Und machte Männchen. Sie streckte ihren kleinen Körper empor, hob ihren Kopf, wie um besser zu sehen, und Dimsch erschrak ein wenig, denn er hatte das Gefühl, sie fixiere, reichlich merkwürdig, die Mitte seiner Stirn. Dimsch wollte schon nach oben greifen, um zu ertasten, obda etwas war, was nicht hingehörte, unterließ es aber, weil es ihm peinlich war, und er wusste nicht, ob vor sich oder der Maus.
Schwer zu sagen war, wohin exakt sie blickte, angesichts ihrer winzigen, tiefschwarz funkelnden Äuglein. Als Dimsch zwinkerte, um schärfer zu sehen, glaubte er zu erkennen, dass auch das Mäuslein ein wenig die Augen zukniff. Doch sie beäugte nicht ihn, ihr Blick war auf die Wand dahinter gerichtet. Ja, nun schien es Dimsch sogar, als würde sie ihren Körper leicht zur Seite neigen ebenso ihr Köpfchen, um, an seinem Schädel vorbei, erkennen zu können, was an der Wand geschrieben stand. Sachte drehte Dimsch den Kopf zur Seite, las das Zitat auf dem Zettel an der Wand:
Das Meiste wird nicht erlangt, weil es nicht unternommen wird.
Die Maus stand auf Baltasar Gracián.
10
Heraklit, dachte Dimsch, war entweder ein ausgefuchst pragmatischer Bursche oder der Allergrößte unter den Philosophen. Jedenfalls verstand es keiner so wie er, das Leben verträglich zu reden. Seine Lehre war derart einleuchtend, dass Dimsch gar nicht anders konnte, als sich mit den schlimmsten Ungerechtigkeiten, den miesesten Bösewichten und den schmerzlichsten Schicksalsschlägen in Gedankenschnelle zu versöhnen. Um diese stoische und dennoch lebensbejahende Einstellung bei ihm herbeizuführen, reichte Heraklit ein im Grunde simpler Gedanke: Ohne die Dunkelheit hätte das Licht keinen Wert, ohne die Kälte nicht die Wärme, ohne die Dürre nicht das Wasser, ohne das Schlechte nicht das Gute.Alles auf der Welt bedingte einander, hätte ohne Widerpart weder Kraft noch Sinn. So betrachtet, folgerte Dimsch, musste Unglück in Kauf genommen werden, wollte man auf das Gefühl des Glücks nicht verzichten. Somit, nun trieb er die Idee auf die Spitze, somit ist sogar das Unglück ein Glück.
Dimsch schlug nach und stellte fest, dass etwa zur selben Zeit wie Heraklit, doch Tausende Kilometer weiter ostwärts, zwei andere Denker zu einer ähnlichen Sicht der Dinge gekommen waren: Laotse in China und Siddharta in Indien. Laotse wurde wegen seiner Lehren als Gott verehrt, Siddharta gelangte zur Erleuchtung und war fortan Buddha. Anders der Grieche Heraklit; der begnügte sich damit, zu bleiben, wer er war.
Das Leben Buddhas am anschaulichsten erzählt hatte Hermann Hesse, fand Dimsch. Dessen Siddharta beobachtete die Menschen, wie sie auf kindliche oder tierhafte Art dahinlebten, sich mühten, litten und
grau wurden um Dinge, die ihren Preis ganz unwert schienen
. Und trotzdem, befand Siddharta, der für sich bereits Höheres im Sinn hatte, führten diese Menschen kein niedriges Leben, schließlich sei alles wert, gelebt zu werden, führe doch erst die Summe von allem zum Ganzen.
Dimsch bearbeitete zwirbelnd die Mitte seines Haaransatzes. Genial, dachte er: Oben und unten, Primitives und Edles, Gutes und Böses, alles eins. Er war ins Schwärmen geraten – und ertappte sich beim Gedanken, die Erkenntnis womöglich deshalb so grandios zu finden, weil sie als
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