Der goldene Esel
Totenblässe und Vernachlässigung entstellten Körper durch Bad und Speise wieder erquicken. Sie tat's aus Ehrfurcht vor ihren Eltern; machte aus Not eine Tugend und unterzog sich – zwar nicht mit fröhlichem, jedoch mit heiterem Gesicht – den Verrichtungen der Lebendigen, so wie man es verlangte. Allein in ihrem Innern nagte Harm und Betrübnis ihr beständig am Leben. Tag und Nacht hing sie der zärtlichsten Sehnsucht unter unaufhörlichen Tränen nach. Ja, sie hatte ihren Verstorbenen unter der Gestalt des Bacchus gebildet, und stets stand sie vor ihm und erwies ihm göttliche Verehrung. Das war ihr einziger schmerzlicher Trost.
Thrasyll konnte es nicht erwarten, daß sich ihr Schmerz ausgeweint, der Sturm ihrer Seele gelegt und die höchste Betrübnis durch die Länge der Zeit sich verloren hätte. Aus Übereilung und Unbesonnenheit stand er nicht an, sich ihr zur Ehe anzutragen, da sie noch ihren Gemahl beweinte, noch ihre Kleider zerriß, noch sich die Haare zerraufte. Der einfältige Schritt deckte alle Geheimnisse seines Herzens auf und verriet sein heilloses Spiel.
Charite schauderte mit Abscheu zurück vor dem schändlichen Antrag, und nicht anders, als ob die Pest sie angehaucht oder der Strahl des Jupiter sie getroffen hätte, sank sie ohnmächtig nieder, und vergingen ihr die Sinne. Nach einer Weile kam sie zwar wieder zu sich selbst und erhob ihr jämmerliches Klagegeschrei von neuem; indessen, die Augen waren ihr nun über den abscheulichen Thrasyll aufgegangen.
Sie erteilt' ihm zur Antwort: sie könne sich nicht sogleich erklären, sie müsse die Sache erst reiflicher überlegen.
Mittlerweile erschien der Schatten des grausam ermordeten Tlepolem dem tugendhaften Weibe im Traume. Von Blut und Totenblässe war sein Antlitz entstellt.
›Du meine Gattin!‹ sprach er zu ihr, ›wenn mein Andenken Deinem Herzen wert bleibt, wird nie ein anderer also Dich nennen dürfen! Doch, hat mein unglückseliger Tod den Bund unserer Liebe zerrissen, so lebe glücklich mit jeglichem andern, nur dem gottlosen Thrasyll gib Deine Hand nicht! Er sei ewig von Deinem Gespräche, von Deinem Gastmahle, von Deinem Bette verbannt! Fliehe seine blutige Rechte! Hochzeit mit ihm wäre Todschlag; denn er ist mein Mörder! Die Wunden, die Deine Tränen gebadet, waren nicht alle mir vom Eber geschlagene Wunden! Ach! allein die Lanze Thrasylls hat uns voneinander getrennt!‹
Er fügte alles übrige hinzu und entdeckte die Schandtat ganz umständlich. Charite, die, unter Betrübnis das Gesicht ins Kissen gedrückt, eingeschlummert war und selbst im Schlafe noch ihre schönen Wangen mit Tränen netzte, fuhr wie von einem Geschütz erweckt aus dem rastlosen Schlummer auf; erneute ihre Klagen, wimmerte und schluchzte, zerriß ihr Gewand und zerkratzte mit wütenden Händen ihre schönen Arme. Dennoch vertraute sie niemandem die nächtliche Erscheinung, noch tat sie, als ob ihr irgend etwas von der Ermordung ihres Mannes entdeckt worden; aber stillschweigend beschloß sie bei sich: erst den verhaßten Mörder zu strafen und dann sich selbst vom jammervollen Leben zu befreien.
Siehe, der schamlose Freier stellte sich wieder ein und lag ihr ohne Unterlaß mit seinem Antrage, wovon ihre Seele nichts wissen mochte, in den Ohren. Was sagte er nicht, ihr Herz mit Liebe zu bestechen; wie bat und flehte er nicht in weichem Tone!
Sie verlarvte sich mit List, hörte ihn leutselig an und gab ihm zur Antwort: ›Noch schwebt Ihres Freundes, meines teuren Gemahls, reizendes Bild mir beständig vor Augen, noch schallt in meinen Ohren der liebliche Klang seiner Stimme, noch lebt mein Tlepolem ganz in diesem Herzen. Wollen Sie denn seine betrübte Witwe nicht wenigstens das von den Gesetzen bestimmte Trauerjahr abwarten lassen? Meinerseits erfordert dies der Anstand ebensosehr als Ihrerseits die Sorge für Ihre Sicherheit; denn durch unsere zu frühe Verbindung würde mein seliger Mann im Grabe zum Unwillen gereizt werden und Sie, Thrasyll, würden es dann mit dem Leben entgelten müssen.‹
Thrasyll, dem nichts von Arglist schwante, begnügte sich mit dieser erhaltenen Hoffnung noch nicht, sondern fuhr ohne Schonung fort, Charitens Widerstand bei jeder Gelegenheit mit der süßesten Beredsamkeit zu bestürmen.
Endlich stellt sie sich überwunden und spricht zu ihm: ›Alles, was ich tun kann, geliebter Thrasyll, ist dies einzige, daß wir bis zur Vollendung des Trauerjahres in geheimer Vertraulichkeit miteinander leben. Allein es muß
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